Vaethyr: Die andere Welt
Falkenemblem von Sibeyla, dem Luftreich, Malikalas Verbündeten …
Direkt über Lucas befand sich ein Boot. Ein Seil wurde zu ihm herabgelassen. Würgend und gegen die starke Strömung ankämpfend, streckte er seinen Arm nach oben, griff nach dem Seil und begann zu klettern. Es war ein langsamer, harter Aufstieg. Der Pfeil war aus seiner Brust verschwunden, aber die Wunde pochte und machte jede Bewegung zur Qual. Das Seil zitterte und schwankte. Das Boot begann zu fliegen und Wind umtoste ihn.
Alle Elemente müssen ausgeglichen agieren wie die fünf Zacken eines Sterns , hörte er die sanfte Stimme des Rickenmädchens. Wenn sie in Streit geraten, wüten die Stürme jahrhundertelang …
Als er sich dem Boot näherte, sah er seine Retter: vier große, schlanke, muskulöse Männer mit nackten Oberkörpern. Sie hatten Vogelköpfe. Lange gebogene Schnäbel, blaue Federn, Augen voller Stolz. Augen wie Lawrence , ging ihm durch den Kopf. Sie waren allesamt Inkarnationen von Lawrence, fühllose Gottheiten. Er hing unter dem Boot, unfähig, sich hochzuziehen. Sie machten keinerlei Anstalten, ihm zu helfen.
Er schielte nach unten, sah die überflutete Wüste in der Dunkelheit zusammenschrumpfen. Er war allein mit den vogelköpfigen Göttern.
Das Boot legte an Geschwindigkeit zu. Er klammerte sich an das Seil, spürte das Prickeln von Eis auf seiner Haut, seine vor Schmerz zitternden Muskeln, den bohrenden Schmerz in seiner Brust. Unendliche Landschaften gähnten unter ihm und kippten weg, um neuen Platz zu machen. Schwefelige Vulkane, Gletscher, Berge, die in unermessliche Täler abfielen. Eine Ebene voller Seen, die sich in violett-blauer Ewigkeit verloren.
Es war eine Schönheit, die sich nicht in Worte fassen ließ, voll unbegreiflichen Grauens.
Sie flogen über eine Stadt, die ganz aus schwarzem Onyx gemeißelt war. Er sah anmutige Wesen, nicht ganz menschlich, die extravagant gekleidet durch die fantastischen Straßen glitten, unberührt vom in der Ferne tobenden Kampf …
Das Seil ruckte. Aus dem Boot schob sich ein Gesicht zu ihm hinab, das seines fast berührte: ein lang gestrecktes Dämonengesicht, knochig, weiß und hart wie arktisches Eis. Es hatte leuchtend blaue Augen und trug einen leuchtend blauen Edelstein mitten auf seiner Stirn. Aus den Fingerspitzen des Dämons kamen Frostfäden, die sich knisternd von der Spirale zur Erde zogen und alles erfrieren und brüchig werden ließen.
Er sah, dass das Seil, an das er sich klammerte, das schneeweiße geflochtene Haar dieser Kreatur war.
»Weißt du denn, was dein Vater entfesselt hat?«, sagte der Frostdämon.
Lucas blickte nach unten und sah ein gewaltiges Feuerwesen von der Größe eines Berges, das Flammen und heißes Gas ausatmete – und in seinem Gefolge einen Schatten, zehnmal so groß wie es selbst, der wie ein gewaltiger Tornado wirbelte. Das Feuer ist Qesoth, der Anfang, und der Schatten ist Brawth, das Ende, murmelte das Rickenmädchen. Der Schatten existierte bereits am Anbeginn der Zeit und wird zurückkehren, um der Zeit selbst ein Ende zu setzen und gedankenlos wie ein Hurrikan alles elfische Leben zu zerstören .
»Ist es das, was du erreichen willst?«, fragte das gefrorene Gesicht über ihm. »Lass Vaeth und die Spirale getrennt voneinander. Lass die Großen Tore verriegelt als Damm gegen die Flut. Sonst …«
Lucas wand sich protestierend, doch kein Laut entrang sich seiner Kehle. Es gab nichts, womit er diese Vision hätte beenden können. Er vermochte seine Augen nicht davor zu verschließen. Er sah alle, die er kannte, selbstvergessen in deren Weg stehen – seine geliebte Schwester, seine Eltern, alle. Erst im letzten Moment sahen sie den auf sie zutreibenden Schatten – um dann voll Entsetzen niederzustürzen, als dieser jeden einzelnen Schädel mit einem Speer aus brennendem schwarzem Eis durchstach.
Ein Gebilde ragte auf, so riesig, dass er es erst, als sie im Sturzflug zwischen seine Nebeläste gerieten, als Baum erkannte. Lucas konnte nicht atmen. Doch schon hatten sie den Baum des Lebens hinter sich gelassen und jetzt blieb nichts mehr außer der Dunkelheit, die ihn umschloss …
Der Abyssus.
Lucas blickte hinab und schrie.
Zwei Schluchtwände füllten das Universum, die eine fließendes Eis, die andere flüssige Lava. Zwischen ihnen gähnende Schwärze in endlose Tiefen.
Die Schwärze war das Vergessen, das Ende aller Dinge. Doch sie enthielt mehr als das, eine Suppe aus Sternen und Gas und dunkler Materie. Und
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