Vaethyr: Die andere Welt
Bart und den funkelnden Augen in seinem mit Stechpalmen und roten Beeren gemusterten Pullover wie ein dunkler Santa Claus aus, ein Stechpalmenkönig. »Die Masken!«, rief Jessica und wandte sich um.
Rosie spürte, wie das kühle Satinfutter sich auf ihrer Haut erwärmte, als ihre Mutter ihr die Maske überstreifte. Sie bedeckte Augen und Nase und das Atmen fiel darunter schwer. Durch die Augenschlitze sah sie, wie ihre Familie sich verwandelte. Sie trugen alle die Schnauze eines exotischen Fuchses mit seidigem rotem Fell, schrägen Augen und schwarzer Nase. Die Augen waren mit Gold und roten Kristallen umrandet, die Ohren in Pechkohle getaucht.
Rosie grinste. Matthew zog plötzlich seine Maske ab und sagte: »Das ist doof. Ich trage sie nicht.«
»Ach, Matthew!«, stöhnte Jessica.
»Wie du willst«, sagte Auberon leichthin. »Kommt jetzt, Leute.«
Sie schritten über die Veranda ins Licht und tauchten in eine Atmosphäre ein, der sich keiner entziehen konnte. Summende, heiße Luft, schwankendes Licht, Stimmen, der Kirchengeruch des Gesteins, in den sich der Duft von Tannennadeln mischte – alles verband sich zu einem einzigen großen, schimmernden Sinnesschleier. Die Schwelle zu einer anderen Welt.
Als Rosie die große Empfangshalle das letzte Mal gesehen hatte, war diese in einem trostlosen Zustand gewesen. Jetzt erstrahlte sie im Licht von Tausenden von Lichterketten. Vier riesige Weihnachtsbäume im Lichterglanz reichten bis hinauf zu den Galerien, die oben den Saal säumten. Auf den langen mit Leinen und Silber eingedeckten Buffettischen brannten Kerzen. Zahllose Gäste in Kostümen oder Cocktailkleidern aus schimmernden Stoffen bewegten sich in dem schmeichelhaft weichen Licht.
Als Rosie unter den Menschengesichtern auch Tiergesichter entdeckte, hüpfte ihr Herz aufgeregt. Juwelenumrandete Augen, die ihr unbekannt waren, sahen sie aus den symbolischen Gesichtern von Katzen, Hasen und Reptilien an. Die Vaethyr-Clans von Cloudcroft erkannte sie – drunter die Staggs, die Tullivers und die Lyon-Familie mit ihren kupferfarbenen Haaren –, aber sie wusste wenig über sie. Die Elfenwesen achteten sehr genau darauf, ihre Kinder von den Mysterien der Erwachsenen fernzuhalten.
Als die Menge sich teilte, sah sie vier Gestalten am anderen Ende des Saals, die vor einem gewaltigen Kamin Hof hielten. Hochmütige Elfenwesen, die sie jahrelang in ihren Träumen heimgesucht hatten. Lawrence Wilder und seine Familie.
Eine elegante Frau in einem figurbetonten weißen Kleid gehörte dazu, ihr dunkelbraunes Haar fiel wie ein glatter Wasserfall fast bis auf ihre Hüften. Neben ihr stand ein hochgewachsener, stattlicher Mann in einem kobaltblauen Nehru-Anzug. Schwarzes Haar, vorgeschobenes Kinn, lange Finger, die sich vor Anspannung leicht krümmten.
Daneben standen die beiden Jungen, die zu treffen Rosie sich so gefürchtet hatte und die inzwischen zu schlanken jungen Männern herangewachsen waren. Der Jüngere von beiden trug ein weißes Hemd und eine schwarze Hose. Er hatte sein kastanienbraunes Haar lang wachsen lassen und es fiel in glänzenden Wellen auf seine Schultern. Dem Älteren schien sein Erscheinungsbild gleichgültig zu sein, was er offenbar auch allen demonstrieren wollte, denn er trug ausgewaschene schwarze Jeans, ein schwarzgraues T-Shirt mit Batikmuster und dazu eine stachelige Stahlkette um den Hals. Es waren Gerüchte in Umlauf, wonach er Ärger mit der Polizei habe, aber die genaue Geschichte kannte keiner.
Die Frau war unmaskiert und lächelte, aber die männlichen Mitglieder der Wilderfamilie trugen hochmütige silberne Falkengesichter.
»Das ist merkwürdig«, sagte Jessica und schob ihre Hand unter Auberons Arm.
»Aber doch auch interessant«, murmelte er aus dem Mundwinkel. »Alles in Ordnung mit dir, Jess?«
»Bin bereit zu lächelnder Höflichkeit«, erwiderte sie.
Beim Gang zum Kamin fühlte Rosie sich an Würdenträger erinnert, die einem fremden Hof einen Besuch abstatteten. Als die beiden Familien sich begegneten, vollzogen sie ein kurzes Ritual, indem sie ihre Köpfe neigten – dann demaskierten sich alle mit schwungvoller Geste.
Der legendäre Lawrence Wilder kam zum Vorschein. Er hatte dieselben klaren und markanten Gesichtszüge wie sein Sohn Sam – gut aussehend, aber hart und bedrohlich – und eisige Augen, das dichte ebenholzfarbene Haar war aus der hohen Stirn und dem Gesicht gekämmt. Rosie konnte kaum glauben, dass er echt war.
»Auberon«, sagte er mit ruhiger,
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