Vaethyr: Die andere Welt
Zentimeter großen Kreis blasigen Fleischs, aus dem Blut sickerte.
»Ist alles okay mit dir, Sam?«, fragte sie ihn mit schluchzender Stimme. Sie strich sich das Haar zurück.
Er sah sie mit irrenden Augen an. »Was zum Teufel ist da passiert?«
»Bist du – warst du mit mir zusammen? Wolf und doch nicht Wolf?«
»Äh …« Seine glasigen Augen wurden groß. Nach ein paar flachen Atemzügen antwortete er: »Ja. Wir waren dort … Monate. Aber in Traumzeit, nicht in Echtzeit.«
Sie berührte das ausgefranste Loch in seinem T-Shirt unter dem Schlüsselbein und traf mit ihrem Finger auf die Fleischwunde, als sie ihn durchsteckte. Sam zuckte zusammen. »Autsch.«
»Was auch immer auf uns geschossen hat, es war echt«, sagte sie, »aber es ist nur eine Hautabschürfung. Eher ein Stempel, als eine tiefe Wunde. O mein Gott, ich dachte schon, sie hätten dich getötet.«
»Haben sie aber nicht, mein Schatz. Das brennt, als hätten sie mir eine heiße Kohle reingesteckt. Himmel!«
»Faith?«, rief Rosie. »Bist du da?«
Als sie aufblickte, wurde sie plötzlich vom grellen Schein einer baumelnden Lampe geblendet. Auf dem Waldpfad vor ihnen stand eine Frau im schwarzen Umhang mit Kapuze und beugte sich über etwas, das auf dem Boden lag. Sie richtete sich auf und hob die Lampe an, sodass ihr Lichtkegel auf sie fiel. In deren Schein sah Rosie, wie Faith sich auf die Knie hochrappelte. Heather stand Gott sei Dank neben ihr, zwar schluchzend, aber offensichtlich unverletzt.
»Woher kommt ihr?«, fragte die Frau. Ihre Stimme drang durch die Kapuze nur leise und gedämpft zu ihnen. »Ich hörte die Kleine weinen. Kommt, ihr müsst mit mir kommen. Hier ist es nachts nicht sicher.«
»Und das erfahren wir jetzt erst«, sagte Sam zähneknirschend. Rosie versuchte aufzustehen, aber die Wunde brannte so heftig, dass sie wieder zusammensackte. Sam erging es nicht besser. Ungelenk kämpften sie sich hoch, bis sie wieder auf den Beinen waren, und man hätte nicht sagen können, wer wem dabei half.
»Ich weiß, dass es wehtut, aber daran stirbt keiner«, sagte die Frau ziemlich ungeduldig. Sie half Faith auf und gab ihr die Laterne, während sie selbst Heather über ihre Schulter schwang. »Es überrascht mich, dass sie das Kind nicht mitgenommen haben. Wenn man mit einem Kind hierherkommt, handelt man sich nur Ärger ein.«
»Versucht haben sie es«, sagte Faith verstört. »Sofern ich es nicht nur geträumt habe. Ich hielt sie mit Leibeskräften fest, bis sie aufgaben.« Während sie sprach, legte Rosie ihren Arm um sie. Ihre Freundin war eisern und unnahbar, nicht die Faith, die sie kannte. Dann ließ sie sie los und gesellte sich wieder zu Sam.
»Ihr könnte euch heute Nacht bei mir ausruhen.« Die Frau führte sie über einen Pfad, schwarz flackerte ihr Umhang im tanzenden Lampenschein. »Ich kann euch nicht hier draußen lassen. Ihr seid durchs Lych-Tor gekommen, nicht wahr? Seit wann ist das denn offen? Ich wusste gar nichts davon. Was denkt ihr euch eigentlich dabei, völlig unvorbereitet die Spirale zu betreten?!
»Das sind viele Fragen«, sagte Sam. »Und ich habe nur eine: Was geht Sie das an?«
»Sam!« Rosie rempelte ihn an. »Er ist nicht mit Absicht so unverschämt, er wurde so geboren. Das ist eine lange Geschichte. Ich muss meinen Bruder finden.«
»Nun, bis morgen werdet ihr nirgendwohin gehen.« Auf allen Seiten schien der Wald in Wildnis überzugehen. Doch in einiger Entfernung entdeckte Rosie eine Waldwiese mit einem Kreis aufrechter Steine und fragte sich, ob die Vaethyr dort zu tanzen pflegten. Fast spürte sie den Nachhall davon: Tiermasken, Blumenkränze, lebhafte Musik.
Vor Erschöpfung und Schmerz konnte sie kaum sprechen. Schließlich formulierte sie aber doch eine Frage: »Wer waren die – diejenigen, die uns angegriffen haben?«
Die Frau antwortete, ohne sich zu ihnen umzudrehen. Ich dachte, ihr wüsstet das. Was bringen die euch auf Vaeth eigentlich bei? Es waren Initiatoren. Sie erkannten, dass ihr Neulinge der Spirale wart, und haben euch deshalb das Brandmal aufgedrückt. Es ist ein toxisches Präparat aus einem Beizmittel und einem Halluzinogen – ihr werdet doch sicherlich Visionen gehabt haben? Und jetzt fühlt ihr euch ein wenig mies.«
»Ja.« Sie und Sam tauschten einen Blick. »Es stimmt, wir sind nie initiiert worden, weil die Tore geschlossen waren … aber ich hatte mir dieses Ritual zivilisierter vorgestellt. Sie haben regelrecht Jagd auf uns gemacht!«
Und Sam fügte
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