Vaethyr: Die andere Welt
keinerlei Geräusche gestört. Kein Matthew kam wutschnaubend hinter ihnen hergesprungen.
»Sieht ganz danach aus, als würde Matthew sich uns nicht anschließen«, meinte Sam grimmig. »Seht euch alles gut an, damit wir den Weg auch wieder zurückfinden.«
»Mein Gott, wir sind tatsächlich hier«, wisperte Rosie. Heather zappelte in ihren Armen, weshalb sie sie Faith zurückgab, die sie küsste, ihr das Haar glatt strich und erklärte: »Es ist alles gut, dein verärgerter Daddy kann uns hier nicht mehr jagen.« Sie verwandelte sich vor Rosies Augen: die Schuppen verblassten, das Haar wurde dunkler, die an die Farben von Fetzenfischen erinnernden Schleier verschwanden. Faith fand in ihre normale Gestalt zurück und trug ein braunes, mit winzigen weißen Blüten gemustertes Kleid. Sie war barfuß … so, wie sie aus dem Haus gerannt war.
»Elysium«, sagte Sam und zeigte den Ansatz eines Lächelns. »Du bist umwerfend, Rosie.«
»Ich habe gar nichts getan«, murmelte sie. »Dann hatte Luc also recht und er hat das Lych-Tor geöffnet … Aber wo ist die große Gefahr, vor der Lawrence uns gewarnt hat?«
»Keine Ahnung«, sagte Sam. »Vielleicht wartet sie … oder sie ist unsichtbar oder so.«
Die fließenden Luftbewegungen verwirrten sie und erschwerten jede Orientierung. Aus dem Augenwinkel sah sie halb menschliche Gestalten. Sie schienen sie zu beobachten und zu umkreisen. »Lucas?«, rief sie in der verzweifelten Hoffnung, er könnte sich unter ihnen befinden.
Und wie zur Antwort sagte eine tiefe Stimme: » Ohne Brandmal .«
»Verdammt, was war das?«, sagte Sam.
Sie ergriff seinen Arm. »Du hast es gehört?
»Ist irgendwie gruselig. Ich denke, wir sollten diesen Pfad da hinuntergehen … Wie es aussieht, ist hier schon eine ganze Weile keiner mehr gegangen.«
Steten Schritts gingen sie nach unten, wobei sie ängstlich in sämtliche Richtungen Ausschau hielten. Ein schmaler silbriger Pfad wie eine Wildfährte verlief in der Mitte des breiteren Pfads zwischen den monolithischen Stämmen hindurch. »Wir sollten auf dieser Spur bleiben«, meinte Rosie. »Wenn man in den Wald geht, muss man mit Schwierigkeiten rechnen. Meine Eltern werden durchdrehen … Hoffentlich ist das nicht ein fürchterlicher Fehler …«
»Hey, ich bin doch bei dir«, erwiderte Sam grinsend. »Der Meister der fürchterlichen Fehler. Jetzt ist es ohnehin zu spät.« Dabei sah er sie eindringlich an, als wollte er sagen: Wir ziehen das gemeinsam durch . Und ihr Herz fühlte sich dabei an wie ein heißer Knoten. Sie erwiderte seinen Blick, um ihm zu signalisieren: Ja, ich weiß .
Die Phantome begleiteten sie auf ihrem Weg. »Sie folgen uns«, sagte Faith beunruhigt.
Sam wandte sich ihr zu. »Lass mich Heather tragen. Dann kommen wir schneller voran. Keine Sorge, das sind nur … vermutlich Elementargeister.«
An Sams Schulter schlief Heather rasch ein. In ihrem rosa Teddybärpyjama sah sie zart und verletzlich aus. »Ich hätte nie gedacht, dass du ein Elfenwesen bist, Faith«, sagte er. »Das hast du ganz schön geheim gehalten.«
»Das ist eine lange Geschichte«, warf Rosie ein. »Es war das, was ich dir damals in der Gasse nicht erzählen konnte, erinnerst du dich?«
»Ah. Nicht böse gemeint, aber der Plan sah nicht vor, dass wir ein Kind dabeihaben.«
»Welcher Plan? Wir hätten sie doch unmöglich zurücklassen können, Sam!«
Woraufhin Faith sagte: »Es tut mir leid, ich hatte nicht vor, euch zur Last zu fallen, aber das war auch von meiner Seite alles andere als geplant. Ich weiß nicht einmal, wohin wir gehen oder warum. Matthew wird mir das nie verzeihen.«
»Dass du ein Elfenwesen bist?«, sagte Sam angewidert.
»Dass ich ihn hinters Licht geführt habe.«
»Der soll sich erst mal selbst in den Griff kriegen. Der eingebildete Trottel.«
»Sam!«, schalt ihn Rosie. »Pst! Wir versuchen Luc zu finden, Fai. Irgendwie hat er versehentlich das Lych-Tor geöffnet. Wir gehen davon aus, dass sein elfisches Wesen sich hier hereingeflüchtet hat, als er verletzt wurde, und er wird sich nicht eher erholen, bis wir es gefunden haben. Es ist eine verzweifelte Lage, und erst jetzt, da ich es laut ausspreche, wird mir klar, wie verrückt sich das anhört.«
»Die Nadel im Heuhaufen«, sagte Sam.
»Ich kann meinen Eltern nicht mehr unter die Augen treten, wenn ich nicht wenigstens versucht habe ihn zu finden«, sagte Rosie. »Das verstehst du doch, oder?« Faith nickte. Sie war blass vor Erschöpfung. Sicherlich litt sie
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