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Vaethyr: Die andere Welt

Vaethyr: Die andere Welt

Titel: Vaethyr: Die andere Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Warrington
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auch an einem gebrochenen Herzen.
    Das Zwielicht vertiefte sich. Je dunkler es wurde, umso mehr Substanz bekamen die ihnen nachschleichenden Gestalten, die am Rand der Bäume mit ihnen Schritt hielten. Die körperlose Stimme sprach erneut: » Vaethyr. Jungfräulich .«
    Rosie hielt die Luft an. Sie versuchte sich einzureden, dass sie keine Angst hatte, aber ihre Hände waren klamm und ihr Herz schlug stolpernd. Dann stellten die Schattengestalten sich ihnen schwebend in den Weg, Dunkelgrau auf Schiefergrau. Sie sprachen wie mit einer tiefen drohenden Stimme. » Ohne Brandmal dürft ihr nicht hierherkommen .«
    Umkreist von düsteren, schwankenden Geistern, blieben sie stehen. »Das sieht nicht gut aus«, sagte Sam und drückte Heather fest an sich, während er sich Rosie und Faith zuwandte. »Ich schlage vor, wir rennen ganz schnell den Weg zurück, den wir gekommen sind. Seid ihr bereit?«
    Dann stieß er einen spitzen Schrei aus. Es war vorbei, ehe Rosie reagieren konnte. Er zuckte, als wäre er erschossen worden, und fiel taumelnd nach hinten. In seinem Brustbein steckte ein Pfeilschaft; das Kind, das auf ihm lag, kreischte.
    Sie sah ein Paar goldener Augen, die sie anstarrten, eine transparente geflügelte Gestalt, die sich von der Dunkelheit abhob und einen schimmernden Pfeil in einer Art Armbrust auf sie gerichtet hielt. Den Bruchteil einer Sekunde später spürte sie den Elfenschuss – einen heftigen stechenden Schmerz in ihren Rippen. Ihr Seh- und Hörvermögen ging in einem Sternenrausch unter. Durch den Nebel bekam sie mit, wie Faith versuchte, Heather Sam zu entwinden, bis auch sie zusammenzuckte und umfiel. Ein Augenblick des Unverständnisses – was verdammt? Nein … das kann nicht sein … nicht jetzt –, aber dann zog der Schmerz sie nach unten, auf Sams gestürzten Körper, in einen Ozean der Schatten.
    Rosie tauchte in eine andere Dimension ein: eine verschwommene düstere Landschaft, die Erde und Schattenreiche und Elysium und etwas völlig anderes zugleich war. Sie hastete auf allen vieren weiter – wusste jedoch, dass sie träumte, was Fliehen sinnlos machte, und dass sie keine Zeit hatte, sich in Visionen zu verlieren, rannte aber dennoch verzweifelt weiter, als könnte sie mit ihrem Bemühen die reale Welt beeinflussen.
    Sam lief neben ihr im Gleichschritt und er war ein Wolf. Mehr als ein Wolf – ein schreckliches, prachtvolles Tier mit hellen kobaltblauen Augen und dunklem Fell mit hellen Spitzen. Sie sah genauso aus und konnte ihre wölfische Fulgia wie von außen betrachten – schattenhaft, silbrig, ein Elementarwesen oder eine niedrige Gottheit, ein Wesen, das ihr unbegreiflich war.
    In den paar berauschenden Minuten, die sie als dieses Doppelwesen erlebte, begriff Rosie, was hier geschah. Die Jäger der Anderswelt feuerten irgendwelche göttlichen Pfeile ab, die Splitter komplexer Erkenntnis lieferten. Sie und der Wolf Sam sahen einander an – es bedurfte keiner Worte. Sie waren schon immer hier gewesen, Seite an Seite, wild, instinktiv, ohne auf andere zu reagieren. Sie rannten tagelang: jagten, fraßen, kämpften spielerisch, paarten sich und rannten weiter.
    Ihr menschliches Sein verschwand.
    Doch eine schwache Erkenntnis blieb ihr: dass man nach dieser Erfahrung bei der Rückkehr nicht mehr so sein konnte wie zuvor. Es war ein Wirbelwind. Man konnte davon nur irrewerden. Sie erhob sich auf ihre Hinterläufe und wurde zur Statue in einem Tempel, ein wolfsköpfiger Sam war ihr Priester. Rosie fing wie verrückt zu lachen an. Sie hörte ihre Mutter singen:
Auf die Spirale lasst euch ein
Schritt für Schritt in sie hinein
Tanzend folgt dem Lauf des Stroms
Drehend zurück zum Ursprung kommt
Findet den Spiegel in dessen Mitte
Fröhlich vereint, fröhlich getrennt
Küssen wir das Wasser und fliegen
Küssen das Wasser und fliegen …
    Jessicas Stimme war wie ein silberner Faden, der sie durch die Zeitschleife zog, als diese zum Anfangspunkt zurückkreiste. Dann wurde Rosie unvermittelt und gewaltsam wieder ins Bewusstsein geworfen. Unter ihrer linken Brust brannte eine kreisrunde Wunde. Die Welt war dunkel.
    Sie spürte Sam, der sich stöhnend neben ihr regte. Er klammerte sich an ihre Schultern und versuchte sie von sich herunterzuschieben. Ihr Mund war trocken wie blättriger Rost und ihr war schwindelig, als hätte sie Drogen genommen. Sie kam mühsam auf die Knie und spürte dabei den Schmerz unter ihrer linken Brust. Ihre Finger fanden ein Loch im Pullover und einen fünf

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