Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)
Zwei Gänge weiter, direkt vor ihr, stand ein Mann mit dem Gesicht zu ihr. Sie kannte das Gesicht, hatte es aber noch nie betrachtet. Es gehörte dem Dorftöpfer – einem Witwer. Er aß eine Banane, die er in seiner kräftigen Hand mit den sich verjüngenden Fingern hielt. Mit der anderen Hand brach er Pilzhüte ab, gab sie der Verkäuferin, die sie in eine braune Papiertüte fallen ließ und abwog. Valeria stockte fast der Atem, als sie seine prächtige Haltung sah. Sie fragte sich, warum er ihr noch nie aufgefallen war.
»Wunderbar«, sagte sie etwas zu laut.
Die Gurkenverkäuferin atmete auf.
»Haben das alle gehört? Habt ihr gehört, was Valeria von meinen Gurken hält? Sie sind jetzt fünf Forint teurer als vorher.«
Valeria machte ein finsteres Gesicht. »Ich hab nichts –«
»Doch«, unterbrach sie die Frau. »Ich hab’s genau gehört. Sie hatten sie in der Hand, haben sie angesehen und dann aufgeblickt und gesagt ›wunderbar‹, einfach so, als wären Sie verliebt.«
Valeria starrte die Frau wütend an und räusperte sich. Sie ließ die Gurke fallen, ging auf den Töpfer zu und inspizierte ihn von oben bis unten. Er hatte weiße Haare, die unter seinem Hut hervorkamen und die Ohren bedeckten. Sein Schnauzbart war ebenfalls weiß … und sauber. Er sah wieein alter preußischer Offizier aus und trug sogar einen Tornister mit einem Riemen quer über die Brust. Valeria merkte, dass sie rot wurde. Sie kam sich albern vor – eine alte Jungfer, die rot wurde. Der Töpfer blickte auf und die beiden sahen sich an. Er nickte und lächelte übers ganze Gesicht. Er musste sie erkannt haben, dachte sie. Als er auf sie zukam, hielt sie den Atem an, doch dann lief er dicht an ihr vorbei. Einen Moment lang stand Valeria wie versteinert da. Sie hatte Angst, er könnte verschwinden, bevor sie etwas gesagt hatte, und so lief sie hinter ihm her und verließ den Markt früher als gewöhnlich. Das hatte sie seit fünf undzwanzig Jahren nicht mehr getan, und es blieb nicht unbemerkt.
»Also, habt ihr das gesehen? Wenn sie sich den krallen will, muss sie aber was an sich tun«, sagte eine der Marktfrauen.
»Da hast du recht, aber dazu braucht sie nicht mehr als die richtigen Kleider, Lockenwickler und eine gute Hautcreme«, sagte eine andere Frau. Es stimmte. Mit den Jahren hatte Valeria immer weniger aus sich gemacht. Die Dorfbewohner waren an ihre Grimassen und ihr Feixen gewöhnt; und daran, dass sie laut fluchte und sie dann mit Kastanien oder was ihr sonst in die Hände kam, bombardierte. Nur jemand, der in der Stadt fremd war, mochte hinter Valerias finsteren Blicken oder unter ihrer Schürze möglicherweise ihre verborgene Schönheit entdecken. Es müsste jemand sein, der nicht das Geringste von ihrer Vergangenheit wusste. Die Vergangenheit war das größte Hindernis zwischen Valeria und den Leuten von Zivatar. Mit ihrer Niedertracht hatte sich Valeria im Lauf der Zeit immer mehr Verachtung eingehandelt.
Es hieß beispielsweise, Valeria habe aus Wut die Kirchenglocken abgeschnitten. Jeder, der so etwas getan hätte, wäre geächtet worden. Keiner wusste es ganz genau, aber diemeisten waren sich einig, dass nur sie es gewesen sein konnte, damals, in den späten vierziger Jahren, kurz nach dem Krieg, als man gerade wieder begonnen hatte, die Glocken zu läuten.
Es hieß, sie habe die Glocken abgeschnitten, weil sie Streit mit ihrem jungen Liebhaber hatte – dem Metzgersohn.
»Damals war sie sehr schön«, sagten die alten Männer mit einem Augenzwinkern zu ihren Enkeln. »Sie war berühmt für ihre Schönheit, wenn ihr versteht, was ich meine.«
Die meisten jungen Männer im Dorf glaubten diese Geschichten nicht, weil sie Valeria nie als junges Mädchen erlebt hatten. Sie konnten nicht glauben, dass die alte Hexe, die sie mit Kastanien und Flüchen malträtiert hatte, einmal attraktiv und aufregend gewesen sein sollte, wie ihre Großväter beteuerten.
»Das glaub ich nicht«, sagten alle jungen Männer.
»Sie war eine reizende junge Frau«, beharrten ihre Großväter.
»Valeria? Du wirst wohl langsam senil.«
»Doch, doch. Sie war reizend. Sie hatte rosige Wangen, war gesund und hatte lange Beine und einen festen Busen. Als der Krieg ausbrach, brachte sie den Metzgersohn ins Gefängnis. Doch wer weiß? Am Ende wäre er vielleicht zum Militär eingezogen worden, aber Valeria gab ihm nicht einmal die Chance, als Kanonenfutter im Kampf gegen die Briten ehrenhaft zu sterben.«
»Das stimmt. Und
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