Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)
vorstellen konnte. Und sie übertrieb nicht. Immerhin hatte sie ihr Leben lang im Dorf gelebt. Sie kannte die Dorfbewohner bis ins Kleinste – alles träge, unzufriedene, unbeholfene Leute, bis zum letzten Schmuddelkragen, zur letzten Dickmadam und zum letzten Rotzlöffel. Und sie alle hatten lächelnd und nickend an dem Hebel gezogen, der einen Mann an die Macht gebracht hatte, dem sie nicht einmal ihren Müll anvertraut hätte.
Sie machte den Abwasch.
Valeria sah sich nicht als Spielverderberin. Ganz und gar nicht. Wie eine Kerkermeisterin hatte sie immer einen Schlüsselbund bei sich, den sie manchmal gerne schüttelte. Wenn sie sich freute oder zufrieden war, zog sie, statt zu pfeifen oder zu lächeln, an der Schnur um ihre Hüften, bis die Schlüssel – es waren fast hundert – aneinanderklirrten. Sie fand das höchst angemessen für eine Frau ihres Alters und es machte ihr Spaß.
***
Bevor es hell wurde, verließ sie ihr Häuschen und ging zum Markt. Wie seit vielen Jahren kam sie dort mit vorgeschobenem Kinn und Eulenaugen an, als die Sonne gerade herauskam. Sie hielt ihren Korb fest in der Hand und schob ihn wie einen Rammbock vor sich her. Sie marschierte durch die Menschenmenge und fand nichts dabei, wenn sie anderen Frauen ihre fleischigen Ellbogen in die Rippen stieß oder lauten Kindern an den Mund oder langsamen alten Männern in den Rücken. Wenn sie so die letzten Kutteln für ein paar Forint weniger bekam oder einen frischenKarpfen erstehen konnte, so frisch, dass er noch mit der Schwanzflosse aufs gestoßene Eis schlug, würde sie sich mit den Ellbogen einen Weg durch die Menge bahnen oder die anderen mit dem Korb rammen und dann ihre Opfer obendrein noch anschreien.
Die Händler, die auf den Gehsteigen vorne Trödel verkauften, beachtete sie nicht. Sie hatte nichts übrig für chinesische Ghettoblaster, polnische Elektronik, deutsche Kassetten oder Aluminiumpfannen. Sie ignorierte die nachgemachten Turnschuhe, die sich nach Farben geordnet auftürmten. Lieber ging sie, so schnell sie konnte, an alldem vorbei, ins Marktinnere, wo die Stände waren, auf denen die Nachbarn ihr Obst und Gemüse feilboten.
Dort wurde sie zum Raubvogel. Sie inspizierte die große Halle genauestens, lief umher und untersuchte jede Ritze. Auf dem Markt wurde gehandelt und Valeria verhielt sich entsprechend. Höflichkeitsfloskeln kamen dort für sie noch weniger in Frage. Sie feilschte und schimpfte wie ein Magnat und kaufte dann wenig oder gar nichts.
Sie stach mit dem Finger in die aufgetürmte Ware ihrer Nachbarn und stupste und berührte die orangefarbenen Möhren, die weißen Karotten und weißen Rüben, die gelben Kohlrüben, die Tomaten, die Petersilie, die Birnen und den Spargel. Valeria brauchte nichts von alledem, weil sie ihr Gemüse selbst anbaute. Sie sah sich nur alles genau an und prüfte die Qualität.
Ihre Nachbarn schüttelten den Kopf über sie. So war es jeden Tag, und manche verscheuchten sie sogar.
»Lassen Sie meine Ware in Ruhe«, sagten sie. »Warum fassen Sie alles an?«
Valeria beachtete sie nicht und inspizierte das Gemüse beiläufig weiter.
»Die mit der schlechtesten Ware beklagen sich immer am meisten«, antwortete sie.
Wenn Valeria auf Gemüse stieß, das ihr nicht gefiel oder das ihrer Meinung nach nicht verkauft werden sollte, sah sie die Marktfrau scharf an, die belämmert zurückstarrte, und schüttelte dann den Kopf.
»Das wollen Sie doch wohl nicht verkaufen?«
Die Marktfrau wurde rot, ob vor Ärger oder aus Verlegenheit, war schwer zu sagen.
Doch alle reagierten sie gleich.
»Sie spinnen. Lassen Sie die Finger von meinem Gemüse.«
»Aber Sie können das doch nicht verkaufen!«
»Warum nicht? Gehen Sie jetzt.«
»Das würde ich nicht mal meinen Schweinen vorsetzen«, sagte Valeria. »Damit können Sie jemanden vergiften.«
Ein paar Kunden blieben stehen und hörten zu, und die Marktfrau schüttelte den Kopf und lächelte sie an.
»Valeria, an meinem Gemüse gibt es nichts auszusetzen. Ich habe es in meinem Garten gezogen und esse es selber.« Die Marktfrauen lächelten. Doch ihre Blicke waren zornerfüllt.
Valeria roch dann am Gemüse und schüttelte den Kopf.
»Wie alt ist das?«
Die Marktfrauen waren sprachlos.
»Warum riecht es nach Urin?«
Die Marktfrauen zuckten die Schultern.
»Lassen Sie etwa Ihre Katze draufpissen? Sie gehören ins Gefängnis«, sagte Valeria und zog an ihren Schlüsseln.
Sie verdarb das Geschäft. Obwohl die Dorfbewohner
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