Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)
mitbekam, wie ungeschickt sie war. Sie wartete, bis er fort war, dann lief sie zu ihrem Rad und fuhr schnell nach Hause.
Als sie wieder in ihrem Häuschen war, zog sie die Strümpfe aus und wusch sich die Füße. Sie wusch den einen Strumpf und hängte ihn zum Trocknen auf. Dann schloss sie das Kabuff auf, holte den Milchkübel und den Schemel heraus und ging zu ihrer Kuh.
»Komm schon«, sagte sie, setzte sich neben das Tier und griff nach den Zitzen. »Ich weiß ja, dass ich dich schon gemolken hab, aber ich brauch noch ein bisschen was.« Vor lauter Unbehagen wandte die Kuh den Kopf hin und her. Ruhig wurde sie erst, als Valeria ihr den Schwanz verdreht und einen Klaps auf den Leib gegeben hatte. Als hätte sie gemerkt, dass es Valeria ernst war, wurde sie plötzlich aktiv und ließ genug Milch ab, um eine sechsköpfige Familie damit einen Tag lang zu versorgen. Nachdem Valeria fertig war, rieb sie der Kuh das Euter mit Salbe ein und streichelte ihre Ohren.
»Gutes Mädchen«, sagte sie. »Das reicht ihm bestimmt für den Rest der Woche.«
***
Valeria goss die Milch in einen Kanister und verschloss ihn. Sie ging zurück ins Haus, nahm ein Bad und zog sich um. Sie fühlte sich nicht sehr wohl in dieser Kleidung, doch sie war aus weicherem Stoff und hatte wärmere Farben. Etwasganz anderes als das düstere graue Kleid, das sie zuvor getragen hatte und in dem sie alle kannten.
Als sie fertig war, hievte sie den Kanister auf den Gepäckständer ihres Fahrrads und fuhr zur Werkstatt des Töpfers. Die Dorfbewohner wunderten sich, als sie sie vorbeifahren sahen, weit ab von der Dorfmitte. Sie blieben stehen und zeigten auf sie, erstaunt, dass ihre schroffe Schrulle sich so weit von ihrem Garten entfernte. Noch erstaunlicher aber waren der geblümte Rock und das Kopftuch, das sie plötz lich trug.
»Habt ihr das gesehen?«
»Was hat sie denn da an?«
»Hat sie gelächelt?«
»Wohin will sie bloß?«, fragten sie alle.
»Wieso fährt sie so schnell den Hügel hinauf? Sie bekommt noch einen Herzschlag.«
Die Dorfhunde rannten Valeria hinterher, schnappten bellend nach ihrem Hinterrad. Die Buben bewarfen sie mit Kastanien und lachten. Valeria beachtete sie nicht. Sie fuhr die fünf Kilometer zum Töpfer und strampelte mit verkrampften Beinen, was das Zeug hielt. Ihr geblümter Rock wehte flatternd hinter ihr wie eine Fahne. Sie triumphierte – Jeanne d’Arcs Großmutter auf dem Fahrrad. Weder hatte sie Schweißausbrüche noch musste sie lange Atem schöpfen; immer wieder sah sie vor ihrem inneren Auge das Bild des weißhaarigen Mannes mit dem weißen Schnurrbart, der eine Banane verschlang und die Hüte von den Pilzen riss. Sie schmunzelte. Er schien sich so wohl zu fühlen, wirkte so gelöst und zufrieden. Es war ihr, als offenbare sich etwas Wunderbares vor ihren Augen, als hätte sie ihren vertrauten Garten betreten und sähe plötzlich, da die Sonne aus einem bestimmten Winkel schien, direkt vor sich unter einem Baum, den sie schon unzählige Male betrachtet hatte, einen glitzernden Edelstein, der seit jeher da gelegenhatte, den sie aber nie bemerkt hatte. Dass sie den Töpfer gesehen hatte, erklärte sie sich damit, dass ihr das Licht einen Streich gespielt hatte. Sie hatte ihn bestimmt tausendmal im Dorf gesehen, doch nur dieses eine Mal war sie auf ihn aufmerksam geworden und hatte sofort beschlossen, ihn besser kennenzulernen. Jedenfalls war sie stolz darauf, gehandelt zu haben. Als sie den Hügel zu seiner Werkstatt hinauffuhr, schöpfte sie unwillkürlich ein wenig Hoffnung.
***
Der Töpfer war Witwer und lebte allein. Er hatte nur einen Lehrling, der mit ihm in der Werkstatt arbeitete. Als Valeria zu seinem Haus kam, löste sie die Schnüre, mit denen sie den Kanister festgebunden hatte, und hievte ihn vom Fahrrad. Sie ließ das Rad zu Boden fallen und brachte die Milch in sein Atelier. Der Töpfer und sein Lehrling blickten auf und waren zunächst etwas erschrocken über ihre imposante Erscheinung und dann über die Schroffheit, mit der sie verkündete: »Ich habe frische Milch mitgebracht, für Ihren Kaffee. Wo soll ich sie hinstellen?«
Der Töpfer blinzelte ein paarmal, dann zuckte er die Achseln und deutete auf eine Tür. »In der Küche ist ein Kühl schrank «, sagte er. Er sah seinen Lehrling an. Der junge Mann hatte Valeria erkannt und zuckte ebenfalls die Achseln.
Valeria murrte und ging mit dem gefährlich schwankenden Milchkanister auf der Schulter an den beiden Männern vorbei.
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