Vampir sein ist alles
Bambus verschwunden war. Als sie die Flasche in meiner Hand sah, sprang sie mit einem Satz heraus und raste davon. Der Topf drohte umzukippen, aber ich konnte ihn noch im letzten Moment festhalten.
„Barney ist eine Wohnungskatze!“, rief ich über meine Schulter, während ich den Topf zurechtrückte und nachsah, ob mit den Veilchen und Stiefmütterchen alles in Ordnung war. Das Turmzimmer hatte Fenster in alle Richtungen. Ich hatte sie geöffnet, um die frische Morgenluft hereinzulassen. Es war nicht mehr so heiß wie am Vortag, und in der Ferne konnte man die Möwen schreien hören.
Sebastian schüttelte fassungslos den Kopf. „Die Scheune wäre ideal für sie! Katzen sollten da leben, wo sie Mäuse und Ratten fangen können. Das ist ihr Job. Dazu sind sie da.“
„Du denkst wohl auch, dass man Hunde nur zu Jagdzwecken halten sollte“, entgegnete ich lächelnd, als ich in die Küche zurückkehrte, und griff zu der Kaffeekanne, die hinter Sebastian stand, um mir nachzuschenken. Was sollte ich mit der Kaffeemaschine machen, wenn ich umzog? Ich hatte sie bei einer Wohnungsauflösung erstanden, weil sie so herrlich türkis war. Ich hatte noch nie in meinem Leben ein derart scheußliches Plastikungetüm gesehen - es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Ich hatte die Maschine stolz nach Hause getragen und liebevoll mit lila Glitzersteinen beklebt.
Sebastian hatte in seiner Küche einen ganz modernen Espressoautomaten, den ich immer noch nicht bedienen konnte. Damit bereitete er am liebsten kalt gebrühten Kaffee zu. Und der Kaffee war verdammt gut, nur die Maschine war merkwürdig. Ich musste unbedingt lernen, wie man sie
richtig bediente, wenn ich bis ans Ende meiner Tage dort wohnen wollte.
Bis ans Ende meiner Tage.
Sebastian lächelte mich an. „Du machst ja schon wieder so ein komisches Gesicht. Was geht in deinem Kopf vor?“
Ich zuckte mit den Schultern und sah mich in meiner winzigen Küche um. Die Schränke waren aus billigem, schon etwas angeschlagenem Furnierholz. Auf dem Boden lag ein rötlich braun und schwarz gemusterter Teppich, den zahlreiche Flecken verunzierten. Ich hatte nie verstanden, warum mein Vermieter ausgerechnet in der Küche Teppichboden verlegt hatte. In der ganzen Wohnung war ein wunderschöner Holzboden - nur in dem Raum nicht, wo am meisten gekleckert wurde.
„Es wird merkwürdig sein, hier auszuziehen“, sagte ich.
Sebastian lehnte sich gegen mich, sodass sich unsere Arme berührten. Ich ließ meinen Kopf auf seine Schulter sinken. „Ich weiß“, sagte er und strich mir übers Haar. „Wir können uns ja irgendwann zusammen ein Haus in der Stadt kaufen. Etwas, das uns beiden gehört.“
Volltreffer.
Es war allgemein üblich, dass man sich zusammen ein Haus kaufte, wenn man heiratete, und genau das war das Problem. Die ganze Umzugsthematik erinnerte mich sehr an TV-Spießer-Ehepaar Ward und June Cleaver, und so hatte ich nie werden wollen. Was kam als Nächstes? Ich in der Küchenschürze, während Sebastian sich darüber beschwerte, wie schwer es heutzutage war, einen guten AB-negativ-Blutspender zu finden? „Äh, ich muss mal schnell Katzenfutter
kaufen“, sagte ich und stellte meine volle Kaffeetasse zu dem schmutzigen Geschirr in der Spüle. „Bin gleich wieder da.“
Dann trat ich die Flucht an.
Es war ein heißer Sommertag. Dunkelviolette Clematis hingen von Zäunen herunter, Monarch-Falter stärkten sich an den rosa Blüten der Seidenpflanzen, und jedes Mal, wenn ich an einer roten Ampel stehen blieb, surrten Stechmücken um meine Ohren und piksten mich in alle unbedeckten Körperteile. Trotz der Biester überlegte ich, ob ich noch eine Runde um den See drehen sollte, bevor ich wieder nach Hause fuhr, als plötzlich eine merkwürdig gequetschte, verzerrte Version von Tschaikowskys Ouvertüre 1812 an mein Ohr drang. Ein Autoradio? Ein Radiosender, den ich über meine Plomben empfing? Ein besonders ungewöhnlich quietschender Reifen? Au Mann, mein Handy!
Ich fummelte eine Weile an meiner Gürteltasche herum, bis es mir gelang, das Gerät herauszuholen. Dann tippte ich auf gut Glück auf den Tasten herum, bis der Klingelton aufhörte. Nachdem ich es unter meinem Helm an mein rechtes Ohr gedrückt hatte, sagte ich argwöhnisch: „Hallo?“
Was Handys anging, war ich wohl das, was man allgemein als Spätzünder bezeichnete. Sie standen im Widerspruch zu meinem Bemühen, mich in buddhistischer Gelassenheit zu üben. Und es war mir zwar peinlich, aber in
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