Vampir sein ist alles
Kruste zu lösen. Glücklicherweise verdeckte mein Rock die Schrammen.
Ich stellte meine Haare wie gewohnt mit Gel hoch, denn wenn ich es nicht tat, sah ich aus wie Eddie Munster. Dabei merkte ich, dass ich allmählich einen blonden Ansatz bekam. Wenn ich nicht aussehen wollte wie ein Skunk, musste ich mir bald wieder die Haare färben.
Ich zupfte an ihnen herum und begutachtete sie kritisch. Eigentlich brauchte ich die Goth-Verkleidung gar nicht mehr. Die Hexenjäger des Vatikans hielten mich für tot, und das FBI hatte den Fall abgeschlossen. Ich war nicht mehr auf der Flucht. Verdammt, ich war sogar drauf und dran, mich häuslich niederzulassen. Vielleicht sollte ich als Blondine vor den Traualtar treten.
Ich schluckte und sah im Spiegel, wie mein Kehlkopf sich auf und ab bewegte - das klassische Zeichen für Angst. Auch in meinen Augen war sie zu erkennen. Kein Wunder, dass Sebastian sauer auf mich war.
Wenn wir uns später sahen, würde ich ihm zeigen, wie gern ich mit ihm zusammen war. Er hatte mir den ganzen Tag schrecklich gefehlt; ich konnte es kaum erwarten, ihn wiederzusehen.
Ich rief in der Werkstatt an, um Sebastian zu fragen, ob er mich abholen wollte oder ob ich mir ein Taxi bestellen sollte.
„Ich habe ihn heute noch gar nicht gesehen“, sagte Hai auf seine typische unverbindliche Art. Jeder andere hätte sich erkundigt, ob er etwas ausrichten könne, aber Hai verfiel einfach in Schweigen, was schon fast feindselig wirkte.
„Was ist mit dem Mustang?“, fragte ich.
„Was soll damit sein?“
„Sie haben doch ein 66er Cabrio da, oder?“
Es entstand eine kurze Pause, und ich hielt die Luft an. „Er gehört doch nicht Ihnen, oder?“, wollte Hai schließlich wissen.
„Nein“, entgegnete ich.
„Dann ist ja gut, ich warte nämlich noch auf ein paar Ersatzteile.“
Nachdem wir uns mit einer gewissen Befangenheit voneinander verabschiedet hatten, legte ich auf.
Eigentlich überraschte es mich nicht besonders, dass Hai Sebastian den ganzen Tag noch nicht gesehen hatte. Ich bestellte ein Taxi. Die Frau eines Vampirs musste sich wohl oder übel damit abfinden, dass ihr Mann sich Blutspenderinnen hielt, sagte ich mir.
Ich bewahrte Haltung, bis ich in den Veranstaltungssaal kam, doch dort traf ich auf Unmengen von Volvo fahrenden älteren Damen, die so gartenbesessen waren, dass sie mich jedes Mal mit einem spöttischen Lächeln bedachten, wenn ich eine lateinische Bezeichnung falsch aussprach oder - was noch schlimmer war - meine Pflanzen bei ihrem ganz normalen, umgangssprachlichen Namen nannte.
Obwohl ich völlig genervt war, machte ich mit einigen freundlicheren Damen Smalltalk über Rosen und Königskerzen und Wilden Senf, während wir auf Sebastian warteten. Etwa zehn Minuten bevor der Vortrag beginnen sollte, glaubte ich zu sehen, wie er zur Seitentür hereinhuschte. Froh, endlich jemanden zu haben, mit dem ich mich vernünftig unterhalten konnte, eilte ich auf ihn zu.
Als ich ihn fast erreicht hatte, stellte ich fest, dass ich mich geirrt hatte.
Mein strahlendes Lächeln schwand. Es war nicht Sebastian, der gerade hereingekommen war - sondern sein Sohn Mátyás.
MERKUR
Schlüsselwörter:
Verstand, Unbeständigkeit, Kinder
Als Mátyás mein langes Gesicht sah, hellte sich seine Miene merklich auf. Darauf konnte man sich bei ihm verlassen: Er hatte immer eine gewisse Freude am Leid anderer, und an meinem ganz besonders.
Bei unserer letzten Begegnung hatte mir einer seiner Spießgesellen einen Pfeil in den Oberschenkel geschossen, und als ich nun sein spöttisches Grinsen sah, tat mir automatisch das Bein weh. Mátyás hatte Sebastians aristokratische Züge, seine Augen waren jedoch ein wenig heller, fast golden. Seine schwarzen Haare waren gerade so lang, dass sie ihm ständig in die Augen fielen. Eigentlich hätte Mátyás recht gut ausgesehen, wenn er nicht ständig so verdrossen und wütend dreingeblickt hätte.
Gut, er war dazu verdammt, für immer Teenager zu bleiben, also war es nicht allein seine Schuld. Es war bestimmt ziemlich furchtbar, schon über hundertfünfzig Jahre lang siebzehn zu sein. Und ich hätte auch ein bisschen mehr Mitleid mit ihm gehabt, wenn er nicht die nervige Angewohnheit besessen hätte, mich als „Beißspielzeug“ seines Vaters zu bezeichnen.
„Garnet, meine Teuerste, ich freue mich außerordentlich, dich gesund und munter wiederzusehen!“, sülzte er, und seine Worte trieften nur so vor Ironie. „Wo ist denn mein guter
alter
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