Vampire Academy 05
immer zwang er mich, mich selbst zu befragen.
„Du siehst aus, als wärest du bereit, es mit einer ganzen Armee aufzunehmen.“
Ich tauchte aus meinen dunklen Gedanken auf. So fixiert war ich auf Dimitri und seinen Brief gewesen, dass ich auf dem Weg quer über den Campus nichts von der Welt wahrgenommen hatte, nicht einmal Lissa, meine beste Freundin, die sich mir gerade mit einem mild spöttischen Lächeln auf dem Gesicht anschloss. Es kam nur selten vor, dass sie mich irgendwie überraschte, denn wir teilten ein psychisches Band, das dafür sorgte, dass ich ihre Gegenwart und ihre Gefühle stets wahrnehmen konnte. Ich musste also ziemlich abgelenkt sein, um sie nicht zu bemerken, und wenn mich jemals etwas abgelenkt hatte, dann war es diese Morddrohung.
Ich schenkte Lissa ein Lächeln, von dem ich hoffte, dass es überzeugend wirkte. Sie wusste, was mit Dimitri geschehen war und dass er nur darauf wartete, mich zu töten, nachdem ich – erfolglos – versucht hatte, ihn zu töten. Nichtsdestoweniger machten ihr die Briefe, die ich jede Woche von ihm bekam, Sorgen. Und sie hatte schon genug Probleme mit ihrem eigenen Leben, ohne dass mein untoter Stalker auch noch auf die Liste kam.
„Irgendwie nehme ich es wirklich mit einer ganzen Armee auf“, stellte ich fest. Es war früh am Abend, aber im Spätsommer stand die Sonne zu dieser Zeit noch immer am Himmel von Montana und tauchte uns in ein goldenes Licht. Ich fand es zwar herrlich, aber als Moroi – ein friedfertiger, lebendiger Vampir – würde Lissa irgendwann durch das Licht geschwächt werden und sich unbehaglich fühlen.
Lachend warf sie sich das platinblonde Haar über die Schulter. Die Sonne ließ die helle Farbe in einem engelsgleichen Leuchten erscheinen. „Ja, wahrscheinlich. Ich dachte gar nicht, dass du dir solche Sorgen machen würdest.“
Ich konnte ihren Gedankengang verstehen. Selbst Dimitri hatte gesagt, dies wäre doch nur Zeitverschwendung für mich. Schließlich war ich nach Russland gegangen, um nach ihm zu suchen, hatte realen Strigoi gegenübergestanden – und eine ganze Anzahl von ihnen sogar eigenhändig getötet. Vielleicht hätte ich vor den bevorstehenden Prüfungen keine Angst haben sollen, aber all das Trara und die Erwartung der anderen lasteten plötzlich schwer auf mir. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Was, wenn ich es nicht konnte? Was, wenn ich nicht so gut war, wie ich dachte? Die Wächter, die mich hier herausforderten, mochten vielleicht keine echten Strigoi sein, aber sie waren immerhin geübt und hatten schon erheblich länger gekämpft als ich. Arroganz konnte mir eine Menge Scherereien eintragen, und wenn ich scheiterte, würde ich es vor all den Leuten tun, denen doch an mir lag. Vor all diesen Leuten, die solches Vertrauen in mich hatten.
Aber noch etwas bereitete mir Kopfzerbrechen.
„Ich mache mir Sorgen: wegen des Einflusses, den diese Zensuren auf meine Zukunft haben“, sagte ich. Das war die Wahrheit. Die Prüfungen waren für eine Wächternovizin wie mich das Abschlussexamen an der St. Vladimir’s Academy. Wie ich sie bestand, gab den Ausschlag dafür, welchem Moroi ich als Wächter zugeteilt werden würde.
Durch unser Band spürte ich Lissas Mitgefühl – und auch ihre Sorge. „Alberta denkt, es bestünde eine gute Chance, dass wir zusammenbleiben können – und dass du nach wie vor meine Wächterin sein wirst.“
Ich verzog das Gesicht. „Ich vermute, Alberta hat das nur gesagt, um zu verhindern, dass ich die Schule verlasse.“ Ich war vor einigen Monaten von der Akademie abgegangen, um nach Dimitri zu suchen, und dann nach dem Teilerfolg meiner Mission an die Schule zurückgekehrt – etwas, das in meiner akademischen Akte allerdings nicht gut aussah. Außerdem war da noch die winzige Tatsache, dass mich die Königin der Moroi, Tatiana, hasste und wahrscheinlich alle Hebel in Bewegung setzen würde, um Einfluss auf meine Zuteilung zu nehmen. Aber das war eine andere Geschichte. „Ich vermute, Alberta weiß, dass sie mir nur unter einer einzigen Bedingung erlauben würden, dich zu beschützen: Ich müsste die letzte Wächterin auf Erden sein. Und selbst dann wären meine Chancen immer noch ziemlich gering.“
Vor uns wurde das Brüllen einer großen Menge laut. Einer der vielen Sportplätze der Schule war in eine Arena verwandelt worden, die es wahrscheinlich mit einer Einrichtung aus den römischen Gladiatorentagen aufnehmen konnte. Die Tribünen waren ausgebaut worden, und statt
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