Vampire City
Gute Nacht.“
„Schlaf gut, mein Mädchen.“
Ich lag mit meinem MP3-Player eingemummelt zwischen Decken und Kissen in dem riesigen Bett. An Schlaf war nicht zu denken. Ich vermisste meine Eltern, Mary, meine Buchhandlung, sogar die Kunden, einfach alles. Ich sah den glitzernden See vor mir, das Cafè, in dem Mary arbeitete, wie wir lachten und einen Latte tranken. Das war meine Vergangenheit. Nicht mehr greifbar, zerronnen und verloren.
Ein neuer Lebensabschnitt war angebrochen. Ich war eine Halbvampirin, ein Wesen der Nacht, ruhelos, auf der Suche nach Blut, unsterblich – wenn es denn so sein sollte. Aber das die Möglichkeit bestand, reichte mir schon aus, um zitternd ein Kissen zu umschlingen und meinen Kopf darauf zu betten. Ich hatte mich noch niemals zuvor so isoliert und einsam gefühlt. Zu Arlaner’s ‚I miss you’ , dem perfekten Soundtrack zu meinem derzeitigen Leben, weinte ich bitterlich und hoffte, es würde kein morgen geben.
Ein paar Sonnenstrahlen brachen sich an der Fensterscheibe, die sich an einem Wolkenkratzer vorbeigemogelt hatten. So klar hatte ich den Himmel schon lange nicht mehr gesehen. Er sah aus wie gemalt, von einem so hellen Blau, dass ich Lust auf den Frühling bekam. Ich hörte in meinem Inneren Vogelgezwitscher, vernahm das leise Summen von Bienen und konnte die ersten Blumen riechen, die den Winter vertrieben.
Würde ich diese Jahreszeit in all ihrer Schönheit überhaupt noch so wahrnehmen können? Immer mehr zweifelte ich daran. Ich wusste nicht, welche Vorstellungskraft mir innewohnte, doch ich überraschte mich immer wieder.
Einmal sah ich mich in einem bodenlangen, feuerroten Kleid, wie ich im Wald einer Gestalt hinterherlief, die vor mir angsterfüllt Reißaus nahm. Nicht einmal stolperte ich oder blieb in den Ästen hängen. Meine Schnelligkeit war der Hammer: Ich war so flink wie ein Gepard, dabei leichtfüßig und äußerst geschmeidig. Einfach die Anmut in Person. Nach einem kleinen Katz- und Mausspiel hatte ich mein Opfer von hinten grob gepackt. Es wimmerte, flehte und klagte, aber ich kannte keine Gnade. Meine Zunge leckte über meine Lippen, in freudiger Erwartung, dann bog ich den Kopf des Unglücklichen zur Seite, meine Fänge verlängerten sich, die Augen schwarz vor Gier, biss ich zu. Ich spürte, wie meine Zähne in die weiche Haut und in das Fleisch glitten, so tief, dass sofort das wunderbar süße Blut zu fließen begann. Süchtig saugte ich die rote Flüssigkeit in mich auf, konnte gar nicht genug davon bekommen, bis die Gestalt reglos in meinen Armen hing. Ich hatte gar nicht mitbekommen, wie sie immer schlaffer geworden war und wie das Keuchen verstummte.
Manchmal wechselte die Szenerie: Ich saß in einer durch Fackeln fadenscheinig erhellten Burg, die an ein Geisterschloss erinnerte. Meine Wenigkeit auf einem Thron, herrschend über den gesamten Klüngel und nahm mir, was ich wollte. Auf meinen Befehl hin, der keine Widerrede duldete, hatte ich ein Kopfgeld auf einen Dieb ausgesetzt, der schon lange im Land auf Raubzug ging. Und für wahr, man hatte ihn endlich dingfest gemacht. Die mörderisch aussehenden Wachen schleppten ihn auf den Knien herein, zerrten den armen Teufel über den Boden. Doch Gnade kannte ich wieder nicht. Er trug ein weißes, offenes Hemd, rote Kniehosen, keine Schuhe. Die Füße schmutzig, die Kleidung zerrissen. Seine wilden Locken fielen in sein hübsches Gesicht. Hochmütig erwiderte er meinen Blick.
„Und, was habt Ihr mit mir vor, Prinzessin?“, fragte er hochnäsig.
„Oh, da wird mir schon etwas einfallen“, schnurrte ich und erhob mich von meinem Thron. „Zuerst einmal ziehst du dich aus…“
Ja, ja, ich weiß! Man wird doch noch mal träumen dürfen, und Brandon hätte das so was von verdient! Er mochte es doch, wenn man sich auszog, also konnte er zur Abwechslung mal das Objekt der Begierde sein. Ausgleichende Gerechtigkeit!
Schon längst hatte ich registriert, dass ich etwas für ihn empfand, was ich aber ihm gegenüber niemals zugegeben hätte. Er würde sich sicher nur über mich lustig machen. Er konnte jede haben, jedes Mädchen, jede Frau, die Augen im Kopf hatte, und die es gefährlich mochte. Und wer vehement bestreitet, dass er solch einen Typ Mann nicht faszinierend findet, dem kann ich einfach nicht glauben. Langweiler gibt es doch wie Sand am Meer.
Es hatte lange gedauert, bis ich letzte Nacht eingeschlafen war. Neben diesen Träumereien hatte ich auch viel geweint, dazwischen gejammert,
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