Vampire küssen besser
dachte ich, endlich kommt meine Tochter wieder zu Verstand und setzt sich für mehr ein als nur sich selbst. Aber das hat ja nicht lange gehalten. Danach musstest du diesem verrückten James Joyce hinterher und dich in das wilde Pariser Leben stürzen, in Cafés rumsitzen, ständig neue Fummel und anderen Firlefanz kaufen. Nicht einmal der Zweite Weltkrieg hat dich berührt, außer dass du mit dem Rettungswagen durch Spanien gegondelt bist, um den nächsten Schriftstellertypen zu helfen, die ja
so
empfindsam
sind.«
Es gab so viele Dinge, in denen meine Mutter und ich absolut gegensätzlich waren … Mar-Mar war extrovertiert, mit hervorragendem Gespür für Geschäfte und Politik. Selbst wenn mir dergleichen gelegen hätte, ich hätte ihr niemals das Wasser reichen können. Doch das gab ihr noch lange nicht das Recht, mich und die Menschen, die mir lieb gewesen waren, mieszumachen. Müde sagte ich: »Ernest Hemingway war nicht empfindsam. Er war scharfsichtig und trank zu viel, aber empfindsam war er mit Sicherheit nicht.«
»Darüber will ich jetzt nicht diskutieren«, sagte Mar-Mar steif. »Der Punkt ist, dass du seit Jahrhunderten deine besonderen Talente verschleudert hast. Du warst oberflächlich, ichbezogen und hast keinem was genutzt. Ich liebe dich, aber sehr stolz war ich nicht auf dich, so leid es mir auch tut, das zu sagen.«
Ich hatte geahnt, dass sie so empfunden hatte, doch ihre Worte schmerzten mich, selbst wenn oder gerade weil sie der Wahrheit entsprachen.
Mar-Mar ging zur Spüle und wusch ihren Becher ab. Sie hatte noch nie lange stillsitzen können und war eigentlich immer in Bewegung. Mit dem Rücken zu mir fuhr sie fort: »Allem Anschein nach glaubst du, dein Leben würde erst dann sinnvoll, wenn du den richtigen Mann – deinen Seelengefährten – gefunden hast. Ich habe mein Bestes getan, dir beizubringen, dass Liebe keine Lösung ist. Zumindest die erotische Liebe nicht. Dann schon eher die Nächstenliebe. Das Leben einer verlorenen Liebe oder der Suche nach einer neuen zu widmen, ist selbstsüchtig und letztlich selbstzerstörend. Vor hundert Jahren hat mein schottischer Freund Thomas Carlyle etwas geschrieben, das mir noch im Gedächtnis ist: Nach dem Glück sucht man nicht. Man findet es auf dem Weg, auf dem man seinen Idealen und Prinzipien folgt. Schreib dir das hinter die Ohren, Schätzchen, denn ein wahreres Wort wurde selten gesprochen.«
Ich legte den Kopf auf die Arme und war unendlich deprimiert. »Also bin ich nur Spionin geworden, weil du dafür gesorgt hast«, murmelte ich.
Mar-Mar drehte sich zu mir um. Im Geist hörte ich sie sagen:
Setz dich gerade hin. Reiß dich zusammen. Lass dich nicht runterziehen.
Du bist ein Vampir. Du bist etwas Besonderes, vergiss das nicht.
Aber ich konnte mich nicht aufraffen. »Daphne Urban«, sagte Mar-Mar. »Ich habe dich dazu
ausgesucht.
Ich wusste, dass ein Team aus Vampiren eine ungeheuer starke Waffe gegen den Terror sein wird. Außer mir bist du der klügste Vampir, den ich kenne. Und du besitzt eine äußerst wertvolle Eigenschaft.«
Ich horchte auf und schielte zu ihr hoch. »Welche denn?«
»Mut. Du kämpfst für das, was du für richtig hältst, koste es, was es wolle. Das war bei dir als Kind schon der Fall. Tapferkeit steckt dir im Blut. Du hast dich nie vor einem Kampf gedrückt, ganz gleich wie bange dir war. Angst war für dich nie ein Hindernis.«
Ich setzte mich auf, umfasste den Teebecher und ließ die Teeblätter kreisen. Für einen Moment schwiegen wir beide. »Du hast recht«, bekannte ich schließlich. »Mich stört nur, dass du mich getäuscht hast, statt aufrichtig zu sein. Vielleicht hätte ich mich dem Team Dark Wing ja auch angeschlossen, wenn du mich offen darum gebeten hättest.«
Mar-Mar starrte stumm auf das Küchentuch in ihren Händen. Nach einer Weile trat sie zu mir und berührte meine Schulter. »Das hätte ich tun sollen«, gab sie zu und küsste mich aufs Haar. »Ich bin zu sehr daran gewöhnt, unaufrichtig zu sein, Masken zu tragen und andere zu manipulieren. Aber du bist meine Tochter, mein Fleisch und Blut, dir gegenüber hätte ich ehrlich sein müssen. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen. Manche Verhaltensweisen schüttelt man nicht so einfach ab. Ich verspreche dir jedoch, mich zu bessern. Ich hoffe, du bleibst weiterhin im Team Dark Wing. Die anderen brauchen dich – unser Land braucht dich. Und …« Sie brach ab.
»Was und?«, fragte ich und versuchte, die Tatsache zu verdauen, dass
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