Vampire küssen besser
Baumrinden wuchs. »Ich kann um sieben bei dir sein. Wann beginnt dein Meeting?«
»Viel später, Schätzchen. Sieben passt mir gut. Ich hab dich lieb.«
»Ich dich auch«, gab ich lieblos zurück. Sie hatte mich betrogen und belogen. Dass ich da noch herzlich war, konnte man nicht verlangen.
Ich schlüpfte in ein schlichtes wadenlanges Kleid mit Schalkragen und in flache Stiefeletten, beides in düsterem Braun, wie es meiner Stimmung entsprach. Erst kurz vor dem Weggehen schlang ich mir einen purpurroten Gürtel aus Positano um. Er hatte Messingnieten und war mit Strass besetzt, ein verspielter kleiner Akzent, der mich ein wenig flotter aussehen ließ – wenngleich ich mich weder verspielt noch flott fühlte. Anschließend ließ ich mich von einem Limousinen-Dienst nach Scarsdale fahren. Punkt sieben stand ich vor Mar-Mars Tür.
Sie empfing mich in ihrem Janis-Joplin-Aufzug: Schlapphut, mexikanische Weste, Bauernbluse, Hose mit Schlag und Zehenringe an den bloßen Füßen.
Mar-Mar erhob sich auf die Zehenspitzen, küsste links und rechts die Luft an meinen Wangen, nahm meinen Arm und zog mich ins Haus. »Wie fühlst du dich nach dem eisigen Bad letzte Nacht?«, fragte sie. »Glaubst du, du hast dir was geholt? Am besten mache ich dir eine Tasse Kräutertee mit Sonnenhut.«
Ich folgte ihr in die Küche. »Wir müssen ein paar Dinge klären, Ma.«
»Natürlich, Schätzchen«, sagte Mar-Mar mit dem Rücken zu mir.
»Du hast dich in mein Leben eingemischt. Wieder einmal.« Ich merkte, wie mir die Wut hochkam.
Meine Mutter drehte sich zu mir um. »Ja«, versetzte sie. »Und es war höchste Zeit.« Sie reichte mir ein dampfendes Gebräu in einem getöpferten Becher.
Ich ließ mich damit am Küchentresen nieder und probte im Geist noch einmal die Rede, die ich mir zurechtgelegt hatte.
»Fang gar nicht erst an«, sagte Mar-Mar. »Du hast deinen Job großartig gemacht und unsere Erwartungen bei weitem übertroffen. Hättest du dich nicht mit diesem – diesem
Menschen
eingelassen, hättest du nicht einen einzigen Fehler gemacht.«
Bravo, dachte ich. Punktgenau auf einen Nerv. »Wer sind ›wir‹?«, fragte ich zornig.
»Das ist geheim«, erwiderte Mar-Mar gelassen. »Der Einfachheit halber nennen wir es mal die amerikanische Regierung.«
»Und was bitte schön hast du mit der amerikanischen Regierung zu tun? Oder ist das auch geheim?«
»Kein Grund, pampig zu werden, Daphne. Die Informationen über das, was ich mache, sind nun mal vertraulich.«
Ich beugte mich zu ihr vor. »Wenn du nicht willst, dass ich gehe und nie mehr wiederkomme«, zischte ich, »hebst du diese Vertraulichkeit jetzt auf.«
Mar-Mar seufzte und schenkte sich Kräutertee ein. »Na gut, Schätzchen. Einiges kann ich dir vielleicht erzählen. In den letzten Jahrzehnten hatte ich kaum etwas mit dem Geheimdienst zu tun. Zwar habe ich die Verbindung nie ganz abreißen lassen, aber vorrangig habe ich mich der Friedensbewegung gewidmet. Die kaltherzigen Manipulationen der Spionagedienste waren nichts mehr für mich. Dann kam der 11. September. Danach traten ein paar alte Freunde auf mich zu und baten mich, wieder mitzuspielen – am Endspiel teilzunehmen, denn dazu ist es mittlerweile geworden.«
»Ach«, bemerkte ich giftig, »dann ist dein ganzes Hippie-Getue also nur Scharade.« In dem Ton hatte ich noch nie mit ihr gesprochen. Doch die Rücksichtslosigkeit, die sie mir gegenüber an den Tag gelegt hatte, hatte das Fass zum Überlaufen gebracht.
»Wie kommst du denn auf
die
Idee?«, wehrte sich Mar-Mar vehement. »Ich bin fest davon überzeugt, dass Krieg keine Lösung ist. Mit Gewalt wurde noch nie etwas erreicht. Nicht auf Dauer. Doch zurzeit steht dieses Land mit seinen Werten auf dem Spiel. Mag sein, dass die Bedrohung eines Tages auf diplomatischem Weg beseitigt wird, doch bis dahin werde ich alles tun, damit eine Tragödie wie am 11. September nie wieder geschieht.«
»Das sind alles
deine
Interessen!«, rief ich aufgebracht. »Wie konntest du es wagen,
mich
da hineinzuziehen?« Inzwischen schäumte ich dermaßen, dass ich beim Reden Spucke versprühte.
Ich konnte förmlich sehen, wie Mar-Mar die Samthandschuhe ablegte und meine friedliebende Mutter die Messer zu wetzen begann. Ich wappnete mich.
»Dich
hineingezogen?
«, fauchte sie. »Es war höchste Zeit, dass du mal aus dem Mustopf kamst! Seit zweihundert Jahren hängst du nur herum und schmachtest diesem – diesem
Dichter
nach. Als du damals in Irland warst,
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