Vampire küssen besser
mittlerweile machten sich wohl auch die Folgen seines Verbrauchs an Haschisch und Frauen bemerkbar. Doch das Auge, das im hellen Licht kaltprüfend schaut, wird in diesem Leben weniger Angenehmes entdecken, als wenn es über ein paar Gläsern Wein bei Kerzenlicht feurige Blicke tauscht. An jenem Abend sah Byron unglaublich einnehmend aus. Ich war bezaubert. Ich zitterte förmlich in seiner Nähe. Er konnte so viele Frauen haben – hatte so viele gehabt –, doch in den vergangenen Wochen hatte er mich gewollt, mich allein.
Dennoch gab es Stunden, in denen er mit den Gedanken weit fort zu sein schien, als sei er dabei, eine ferne geistige Landschaft zu durchqueren. »Lass uns nicht mehr über England reden. Reden langweilt mich«, erklärte er. »Ich bin mehr an dem hier interessiert.« Er zog meinen Kopf zu sich und küsste mich begierig und lang. Ich weiß noch, dass er nach Wein schmeckte. Danach schaute er mir tief in die Augen. »Sie geht in Schönheit wie die Nacht«, rezitierte er. »Am Himmel wolkenlos und klar.« Um ein Haar wäre ich umgesunken.
Dieser Mann, hart und hungrig wie er war, war gekommen, um für die griechische Unabhängigkeit zu kämpfen. Er war ein Held. Ich war geblendet. Er war erregt und ich kokett. Er war sechsunddreißig. Ich etwas über zweihundertvierundsiebzig.
»Daphy«, sagte er. »Na, komm, meine Süße, sei ein bisschen nachgiebig. Ich weiß, dass du es willst.«
O ja, ich wollte. Lachend ließ ich zu, dass er mich umschlang. Ich kannte seinen Ruf und wusste, worauf er aus war, doch das war mir einerlei. Er stöhnte und raunte mit kehliger Stimme: »Mädchen, du bringst mich noch um. Es ist lange her, dass ich eine Frau so sehr begehrt habe. An dir ist irgendetwas. Etwas – Verrücktes, Böses und Gefährliches.«
Er umfasste meine Hand. Als er unsere Finger miteinander verflocht, stach sein Ring in meine Haut. Dabei überlief mich ein Schauder. Er führte mich zu einer Bank und legte einen Arm um meine Taille. Noch heute entsinne ich mich seines harten Körpers, den ich durch die dünne Seide meines Mieders spürte. Er zog mich auf seinen Schoß, und seine Hand glitt unter meine Röcke. Ich ließ es zu. Seine Lippen fühlten sich samtig an, als er sie auf meine wogenden Brüste senkte. Mein Puls raste, mir schwindelte – doch in dem Augenblick fiel der aufsteigende Mond auf die weiße Haut seines Nackens. Ich konnte nicht anders. Ich wollte es, ich gab mir Mühe, doch die Verzückung riss mich hin … und ich biss zu. Bar jeder Kontrolle trank ich zu viel, zu früh. Byron sah mich benommen an, begriff mit einem Mal – und versank in Bewusstlosigkeit. Armer George. Das wäre also die Wahrheit über seinen Tod, selbst wenn er auf die Weise nie im Einführungskurs zur Literatur dargestellt werden wird. Es tut mir noch immer weh, darüber zu reden.
Ich schaffte es eben noch, aus Missolonghi zu fliehen, ehe Byrons Kameraden mir einen Pflock ins Herz treiben konnten. Danach beschloss ich, es wäre klüger, fortan enthaltsam zu leben. Doch selbst ich, so eisern ich in meinem Entschluss auch gewesen bin, habe meine Grenzen. Inzwischen stand ich kurz davor, die Wände hochzugehen. Eine Frau braucht gewisse Dinge, und ich konnte ein Lied davon singen.
Eines dieser Dinge war der neue Ausweis, den ich etwa alle zwanzig Jahre brauchte. Vampire altern nicht. Der Vorteil daran ist, dass ich zeit meines Lebens auf Botox verzichten kann. Zu den Nachteilen zählt, dass ich fortwährend mein Geburtsdatum ändern lassen muss.
Und auf die Tour hat man mich geschnappt.
Die Erde dreht sich der Dunkelheit entgegen. Es ist Winter.
In New York ist so gut wie alles erhältlich. Selbst ein Vampir kann sich einen gefälschten Ausweis beschaffen, und wenn es so weit war, ging man zu Sid. Er arbeitete an der Neunten Straße, in einer Bruchbude ohne Aufzug, zwischen den Avenues B und C. Die Gegend war mir unheimlich, und zu allem Überfluss musste ich mich dort ja nach Einbruch der Dunkelheit einfinden. Jeder von uns beschwerte sich über die Lage, doch dann sagte Sid immer: »Was soll das Gemecker? Soll ich meinen Laden etwa an der Park Avenue aufmachen?« Ich wusste, dass ich überfallen werden konnte. Mit dem, was dann tatsächlich geschah, hätte ich allerdings nicht mal im Traum gerechnet …
Der Tag war stürmisch gewesen. Regen- und Graupelschauer waren abwechselnd über die Straßen gefegt, und gegen Abend wurde es spürbar kälter. Als ich aus der U-Bahn kam und die Treppe
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