VAMPIRE SOULS - Böses Blut: Roman (German Edition)
Kneipen und Bars, klar: Lokale mit Großbildschirmen zur Übertragung von Sportereignissen, die zu Restaurants in den Einkaufszentren gehören, Schankwirtschaften draußen in den Bergen, wo Honky-Tonk-Musik das entsprechende Publikum anzieht. Aber für die Masse der unter Dreißigjährigen ist das O’Leary’s die einzige Alternative zum Pig.
Es ist sogar eine ausgezeichnete Alternative, wie sich herausstellt. Während Lori und Travis miteinander flirten, lindere ich mein Unbehagen darüber, indem ich einem Duo zuhöre, das irische Balladen und schottische Reels zum Besten gibt. Ich bemühe mich, die Musik für sich selbst sprechen zu lassen. Was kann keltischer Folk dafür, dass er mich an meinen Vater und seine große Sippe von Betrügern, Schleppern und Bauernfängern erinnert?
Hier, an einem Ort, wo kaum jemand meinen Namen kennt, wäre es leicht, der genetisch einprogrammierten Versuchung zu erliegen und den einen oder anderen Deppen um einen Zehner oder Zwanziger zu erleichtern. Tresen-Wetten wie Streichholzbriefchen-Schnippen und ein Trick, der unter Eingeweihten nur den bezeichnenden Namen ›Der Schluck‹ trägt, werden für immer und ewig einen besonderen Platz in meinem Herzen haben.
Mein Pint Kilkenny habe ich, wie ich feststellen muss, bereits geleert. Also wende ich mich an den Typen hinter dem Tresen, um es durch ein Glas Mineralwasser ersetzen zu lassen.
In genau diesem Augenblick knallt jemand eine Zeitung vor mir auf das blank polierte Holz der Theke.
KIRCHE LÄSST VAMPIR-RADIOSENDER AUSBLUTEN
Ich drehe mich um. Da steht Jeremy Glaser. Selbst im eher funzeligen Licht, das in der Kneipe herrscht, sieht er blass aus.
»Die morgige Sonntagsausgabe.« Er lächelt vielsagend.
»Woher wusstest du, wo ich bin?«
»Ich habe im Sender angerufen. Shane hat mir erzählt, dass du hier sein würdest. Er meinte, du würdest den Artikel sicher gleich sehen wollen.« Glaser legt seine Schultertasche auf den Hocker neben mir. Mir sagt das, dass er wohl vorhat, zu bleiben.
Konzentriert widme ich mich dem Artikel in der Baltimore Sun . Schließlich halte ich hier die erste Veröffentlichung in Sachen WVMP gegen Piratensender in der Hand. Von FAN war niemand für eine Stellungnahme zu erreichen. Dasselbe gilt für die FCC, außer dass man dort verlauten ließ, die Sache werde geprüft. Wie üblich stiehlt eine sensationslüsterne Story wie unser Vampir-Ding einem ernsten Thema wie dem der Pressefreiheit die Schau. Bei dem Versuch, die ganze Story in die Schublade Gut (Kirche) gegen Böse (Vampire) zu pressen, vergisst der Artikel glatt zu erwähnen, dass wir die Opfer einer Straftat sind.
Ich falte die Zeitung zusammen und nehme das Pint, das Jeremy mir zu spendieren anbietet. Nach so einem Schlag ins Gesicht kann ich einen anständigen Schluck Alkohol wirklich gebrauchen.
»Könnte schlimmer sein.« Jeremy sitzt auf dem Barhocker und klemmt die Füße in den schwarzen Turnschuhen hinter die unteren Sprossen. »Sie hätten ja auch die Wahrheit über die Vampire enthüllen können.«
Damit ich ihm nicht ins Gesicht blicken muss, tue ich, als ob ich eine Serviette suche. »Die Wahrheit?«
»Du kannst aufhören, so zu tun, als gäbe es nichts zu enthüllen.« Die Ellbogen auf dem Tresen, beugt er sich zu mir herüber. »Ich habe Jim von mir trinken lassen.«
Mir fällt die Kinnlade herunter. Mir ist, als hätte der Typ hinter dem Tresen mir gerade eben einen Eimer voll Eis in den Nacken gekippt, das mir jetzt den ganzen Rücken hinunterläuft. »Du lügst!«, fauche ich Jeremy an. Bitte, Herr im Himmel oder sonst wo, lass den Idioten wirklich lügen!
»Ich kann es beweisen. Schließlich ist das an meinem Körper nicht spurlos vorübergegangen.« Er schiebt den Ärmel seines T-Shirts (von der letzten Dashboard-Confessional-Tour) nach oben. Ein Verband an seinem rechten Arm wird sichtbar, der sich blütenweiß von den blauen Tattoos abhebt, die den Arm ansonsten zieren. Schlagartig ist mein Mund trocken wie Sandpapier.
»Jim hat alles mitgebracht, was nötig war«, fährt Jeremy fort, »sterile Kompressen, Desinfektionsmittel, Rasierklingen.«
Beim Klang des letzten Wortes klärt sich mein Verstand, und ich kann panikfrei denken. Schnell nehme ich einen Schluck Bier, um meine Erleichterung zu verbergen. Jim hat Jeremy nicht gebissen. Er hat ihn ›nur‹ geritzt, um dann sein Blut zu trinken. Das könnte auch ein ganz gewöhnlicher Mensch tun. Jeremy kennt demnach die Wahrheit hinter der Wahrheit nicht.
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