Vampirwelt
Kreislaufschwäche.
Es ging ihm besser, als er selbst gedacht hatte. Wenig später stand er vor seinem Bett, rechnete immer damit, zu schwach zu sein, um gehen zu können, das aber war auch nicht der Fall. Er konnte die ersten Schritte in Richtung Tür machen, ohne daß ihn der Schwindel hätte taumeln lassen. Es klappte sehr gut.
Tommy ging zur Toilette, wusch anschließend seine Hände und sah sich selbst im Spiegel.
Er war mit sich zufrieden, denn wie ein Kranker sah er keinesfalls aus.
Zwar ein wenig blaß um die Nase herum, aber das ließ sich noch ertragen. Am Waschbecken stützte er sich ab und entdeckte den Bademantel am Haken hängend. Er gehörte zum Inventar des Krankenhauses und war frisch gewaschen.
Tommy Hayer streifte ihn über. Auf seinem runden Jungengesicht erschien ein spitzbübisches Lächeln, als er daran dachte, welcher Plan sich in seinem Kopf festgesetzt hatte.
Ein kleiner Spaziergang durch das Krankenhaus würde ihm sicherlich nicht schaden.
Er schnürte den Gürtel des Mantels zu, straffte noch einmal die Schultern und verließ den kleinen Raum. Wieder zurück im normalen Zimmer, blieb er wie angewurzelt stehen.
Urplötzlich hatte er das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Jemand mußte sich in seiner Nähe aufhalten, allerdings eine Person, die er nicht zu Gesicht bekommen hatte. Ein Geist?
Verrückt, dachte er, es gibt keine Geister. Renes Erzählungen haben dich verwirrt. Das Gefühl wollte einfach nicht verschwinden.
Als er zwei Schritte nach vorn ging, da war ihm, als würde eine weiche, schattenhafte Hand über seine Schulter streichen und sogar einen leichten Druck ausüben.
Er zuckte zusammen, drehte sich so schnell wie möglich, doch da war nichts. Ein leeres Zimmer, alles andere hatte er sich eingebildet.
Tatsächlich?
Tommy wischte über die Stirn, auf der kalter Schweiß lag. Den Traum oder die traumatische Erinnerung an die Zeit seiner Bewußtlosigkeit, hatte er sich die auch eingebildet?
Daran wollte er nicht glauben. Diese Erlebnisse waren derartig intensiv gewesen, daß man sie einfach nicht hatte träumen können. Das mußte ein reines Nachvollziehen gewesen sein.
Noch einmal schaute er nach, schaltete sogar die Deckenleuchte ein, ohne eine Spur zu finden. Ich bin überreizt, ich bilde mir alles ein, ich muß mal etwas anderes sehen. Ich muß raus aus dem Krankenzimmer.
Das setzte sich wie eine ätzende Säure in seinem Hirn fest. Er wollte nicht mehr bleiben. Der Gang draußen würde ihn – so kahl er auch war – auf andere Gedanken bringen.
Vorsichtig öffnete er die Tür. Es war sein Glück, daß das Zimmer am Ende des breiten Gangs lag. Er brauchte nur wenige Schritte nach rechts zu gehen, um sein Ende zu erreichen und einzutauchen in einen Flur, wo sich auch die beiden unterschiedlich großen Fahrstühle befanden.
Auf diesem Flur hielten sich des öfteren die Kranken auf, die ihre Betten verlassen konnten. Da saßen sie, schauten in die Glotze, unterhielten sich oder spielten Karten.
Der Flur war leer und abgedunkelt. So leise wie möglich trat er aus dem Zimmer. Links befand sich das Schwesternzimmer. Auch von dort war nichts zu hören. Bestimmt war die Nachtschwester damit beschäftigt, einen Roman zu lesen. Zusätzlich war sie noch erkältet, denn ihr kaum gebremstes Niesen ließ ihn erschrecken.
Tommy ging schnell weiter. Er atmete erst auf, als er den Quergang erreicht hatte. Er war leer wie sein Gehaltskonto. Auch hier brannte nur die Notbeleuchtung. Sie streute weder kaltes noch warmes Licht, sondern einen weichen, blassen Schein, der kaum den Boden erreichte und sich knapp über ihm verlor.
Was tagsüber normal erschien, wirkte bei diesem Licht etwas unheimlich und gespensterhaft. Wie die Türen der beiden Fahrstühle, die aussahen, als führten sie in ein geheimnisvolles Geisterreich, in dem der alte Friedhof und das ebenso alte Haus gelegen hatten. Vor und direkt zwischen den Türen blieb Tommy stehen.
Er lauschte auf jedes Geräusch und fragte sich, warum er das überhaupt tat. Es gab keinen Grund, sich zu fürchten, aber in seinem Magen hatte sich ein schon ekelhafter Druck ausgebreitet, der seine Atmung beeinträchtigte.
Zudem fing er an zu frieren. Das Frösteln rann von seinem Nacken an abwärts. Sein innerer Zustand glich mehr einem aufgewühlten See, und bis zum Hals hin spürte er das stockige Gefühl.
Er ging weiter. Große Fenster ließen bei Tageslicht den Blick nach draußen zu. In der Nacht aber war alles dunkel, eine
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