Vampirzorn
Umwegen, Aviemore samt Umgebung meidend, zu ihnen aufmachte. Derart umging auch er die Ferenczys.
Und was die noch verbleibenden Drakuls betraf – deren neuer Anführer, ein Leutnant aus Indien, war ein mächtiger Telepath. Jemandem wie ihm zu entgehen, würde wohl jedem schwerfallen, zumal er in der vergangenen Nacht von seinem Gebieter in Tibet endgültige Befehle erhalten hatte. Von nun an sollte er seine Gegner bei jeder sich bietenden Gelegenheit angreifen. Zwar sollte er so verdeckt wie möglich vorgehen, dabei aber so viele, wie er konnte, außer Gefecht setzen. Radu Lykan war selbstverständlich nach wie vor das Hauptziel, allerdings hatte Geheimhaltung nun nicht mehr oberste Priorität. Nicht in einer Welt, die am Rande eines Atomkriegs stand ...
Während Antonio und Francesco Francezci, der eine in Schottland, der andere in Sizilien, sich am Telefon unterhielten und Daham Drakesh sich in Tibet in Weltuntergangsvisionen erging, kamen die drei noch verbliebenen Mondkinder des Hunde-Lords (mit Ausnahme von B. J. Mirlu die letzten Nachkommen vieler Hunderter, die einst seinem Bann erlegen waren) also still und leise in Newtonmore zusammen, wo der Alte John den anderen erklärte, was sie tun mussten.
»Jungs«, begann er, »ihr werdet verstehen, dass ich euch nur ungern schlechte Nachrichten bringe. Aber hört mir zu, dann sage ich euch, was los ist. Und falls er hoch oben in den Bergen zu euch gesprochen hat, werdet ihr wissen, dass meine Worte direkt aus seinem Mund stammen. Die kleine Mistress, Bonnie Jean Mirlu ... sie ist der Sache nicht gewachsen. Sie hat jetzt einen Liebhaber, und der ist ihr wichtiger als ihr Gebieter! Oh, sie wird seinen Ruf vernehmen, durchaus, und zu ihm kommen, aber nicht reinen Herzens. Und der Hunde-Lord kann sich nicht sicher sein, ob sie nicht versuchen wird, ihm ein Leid zuzufügen! Aye, so schlimm steht es. So sehr ist B. J. in diesen ... verdammten Kerl vernarrt!«
Die drei saßen im Raucherzimmer eines kleinen Pubs in einer ruhigen Ecke um einen Tisch. Durch die Butzenscheiben sah man ein paar vereinzelte Schneeflocken durch die kalte, stille Luft treiben. Alan Goresci, ein ebenso hagerer, drahtiger – und wolfsartiger – Mann wie der Alte John, flüsterte: »Warum legst du den Kerl nicht einfach um, John? Diesen, wie heißt er noch, ›Harry‹? Wenn du ihn kennst und ihm schon begegnet bist ... ich meine, wo ist das Problem?«
»Aye, dazu wollte ich gleich kommen«, erwiderte John. »So einfach ist das nicht. Seht ihr, der Mann ist sehrrr wichtig, und zwar für den Gebieter persönlich! Es ist sogar gut möglich, dass dieser Harry der ›Geheimnisvolle‹ ist, auf den Radu schon seit Jahrhunderten wartet! Der ›Mann-mit-den-zwei-Gesichtern‹, und eines davon könnte gut und gern dasjenige des Hunde-Lords sein!«
»Eh?«, warf der junge Garth Trevalin ein. Er sah aus wie ein Jugendlicher, war in Wirklichkeit aber bereits fünfunddreißig. Zum Vergleich: Alan Goresci war fünfzig und John Guiney über sechzig Jahre alt. Denn das Blut, und sei es auch nur eine Spur davon, ist das Leben. »Was sagst du da? Er hat Radus Gesicht?«
»Ah!« John grinste sein typisches Grinsen. »Eigentlich meinte ich eher, dass Radu sein Gesicht haben könnte!«
Kopfschüttelnd legte Garth die Stirn in Falten. »Das verstehe ich nicht.«
»Na ja, vielleicht ist es für einen gewöhnlichen Gefolgsmann schwer zu begreifen.« Alan-vom-Moor stieß Garth unsanft den Ellenbogen in die Rippen. »Vielleicht sollen wir es ja nicht verstehen. Eh, John?«
»Oh, doch, das sollt ihr!«, versicherte ihnen der Alte John. »Wenn wir morgen zu ihm aufsteigen, werdet ihr begreifen, worum es geht. Seht ihr, er hegt die Befürchtung, dass er vielleicht einfach zu lang dagelegen, dass er trotz der langen Jahrhunderte, die er abgewartet hat, noch immer die Seuche in sich trägt. Oder wenn nicht den Schwarzen Tod, dann ist sein Körper vielleicht der Zeit erlegen. Dabei war Radu, dieser Wolf aller Wölfe – nun, einst war er ein Gott! Er will bestimmt nicht als altes, rostiges Scharnier zu uns zurückkehren, das gleich beim geringsten Druck zerbricht. Er will wieder jung sein, sich mit den Weibern austoben, Blutsöhne zeugen und als wahrer Herr und Gebieter all der seinen auftreten, die auf der ganzen Welt seit Langem auf ihn warten.«
»Ha!« Missmutig verzog Alan das Gesicht. »All der Seinen? Was denn, eine Handvoll Niemande wie wir?«
Doch der Alte John schüttelte bloß den Kopf. »Oh, du
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