Vampirzorn
Kleinmütiger!«, murmelte er. »Hast du denn keine Ahnung, was schon ein kleiner Biss anrichten kann, Alan-vom-Moor? Du, ausgerechnet ein Goresci! Deine Linie reicht nicht nur bis in graue Vorzeit zurück, sondern auch in eine ferne, fremde Welt! Wir haben Vollmond, Mann! Und ich weiß, dass Kerle wie du das Ziehen im Blut spüren. Wie lange, glaubst du, wird Radu brauchen, um sich ein Rudel aufzubauen? Würdet ihr nicht gerne mit ihm unter dem Mond laufen? Ihr beiden, aye, der junge Garth und du – als seine Leutnante in der Wildnis und den Wäldern von morgen? Für die ganzen Rotznasen und Ex-Politiker, Anwälte und übrigen Scheißkerle der sogenannten ›feinen Gesellschaft‹ wärt ihr geradezu Götter!«
Die beiden hatten sich über den Tisch gebeugt und hingen an Johns Lippen. »Wenn er erst einmal auferstanden ist, wird nichts mehr ihn aufhalten können«, fuhr der Alte John fort. »Aber das Problem ist die Auferstehung . Falls er vom langen Liegen zu ausgemergelt ist oder womöglich noch die Pest in sich trägt, wird er einen neuen Körper brauchen. Fragt mich nicht, wie er es anstellt, aber er kann es. Er kann diesen Harry Keogh nehmen und in ihn übergehen! Radus Geist und Kräfte im Körper dieses jungen Mannes. Es wird ein neuer Anfang sein – diesmal allerdings nicht bei null. Diesmal wird er sich Männer und Frauen vornehmen, die bereits über Macht verfügen. Und wie damals die Pest wird er auf der ganzen Welt wüten und sie sich untertan machen.«
»Wann steigen wir hoch?«, fragte der junge Garth bebend, heiser, mitgerissen von der Erregung in Johns Worten.
Der Alte John ließ seinen Blick vom einen zum anderen schweifen. Als er das Feuer in ihren beinahe tierhaften Augen sah, grinste er und nickte so heftig, dass seine verfilzte Mähne auf und ab hüpfte. »Habt ihr euch in Form gehalten? Seid ihr fleißig klettern gegangen? Ich mache euch nichts vor, der Weg ist kein Zuckerschlecken. Selbst die leichte Route kann ganz schön tückisch sein, wenn man sie nicht kennt. Es ist eine ziemliche Strapaze! Aber wir müssen da rauf, um den großen alten Wolf aus seiner Ruhestatt zu holen. Und wir müssen als Erste dort sein, Radus Gefolgsleute, noch bevor Bonnie Jean eintrifft.«
»Oh?« Alan-vom-Moor legte die Stirn in Falten. »Ist es mit B. J. denn schon so weit, dass er ihr kein bisschen mehr trauen kann?«
»Das sagte ich doch!«, entgegnete der Alte John. »Warum sonst sollte er wohl Kerle wie euch und mich rufen und die kleine Mistress außen vor lassen? Aye, ich habe mit ihm gesprochen, und, glaubt mir, Radu kennt sich aus. Er fürchtet, dass B. J. versuchen wird, diesen Harry für sich zu behalten. Und wenn es hart auf hart kommt, könnte dies im schlimmsten Fall Radus Ende bedeuten.«
»Aber sie war ihm doch immer treu ergeben!« Der junge Garth stand vor einem Rätsel. »Ich meine, weshalb dieser Wandel nach all den Jahren?«
»Vielleicht triffst du damit den Nagel auf den Kopf«, erklärte der Alte John. »Wandel, sagst du ... aye, ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Sie ist nicht mehr das junge Ding, das sie mal war. Was, B. J. Mirlu, ein junges Mädchen? Mann, sie ist dreimal so alt wie ich und sieht trotzdem immer noch aus wie ... wie ...«
»... ein junges Mädchen?«, half Garth ihm weiter.
»Aye, aber das ist sie nicht. Sie ähnelt eher dem Gebieter als unsereins. Viel zu sehr, und das kann er nicht zulassen!«
»Wamphyri?«, knurrte Alan – so tief, dass man ihn kaum hörte. Der Alte John blinzelte. Im gedämpften Licht des verrauchten Zimmers wirkten seine Augen gelb. Er nickte.
»Ich habe es mit eigenen Augen gesehen«, sagte er abermals. »Und zwar oft. Wenn sie sich schneidet, heilt es sofort, und wie schnell! Und wenn sie wütend wird, oh ...« Er schüttelte den Kopf. »Das wünscht sich keiner, Bonnie Jean Mirlu wütend zu machen ...«
»Weshalb sollten wir uns dann zwischen ihnen entscheiden?« In seiner Naivität stellte Garth die einzig logische Frage.
»Sie verfügt nicht über die Macht«, entgegnete der Alte John. »Oh, sie hat das Blut, das stimmt schon, es ist ihr Erbe. Sie ist ein vollblütiger Schritt zurück zu den Ursprüngen, aye. Aber sie hat es von ihm geerbt! Er kennt sich aus, während B. J. alles erst noch lernen muss. Aber ihr bleibt keine Zeit dazu, nicht jetzt, wo die Drakuls und die Ferenczys wild entschlossen sind, uns zu vernichten. Der Hunde-Lord ... Er sendet einfach seine Gedanken aus – ihr wisst, dass es sich so verhält,
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