Vampirzorn
Harz festgehaltenen Abdrücke gewaltiger Pfoten, vielleicht auch eine Mischung aus beidem – zu einem Spalt im verrotteten Gestein einer Innenwand. Und aus der Düsternis dieser Nische starrte ihn ein rot glühendes, dreieckiges Augenpaar an.
John wollte sofort zu ihm, doch Radus Stimme ließ ihn innehalten:
»Nein, John, noch nicht! Ich möchte nicht, dass du mich so siehst. Ich bin ... noch nicht fertig; ich bin zwar auferstanden, verfüge aber noch nicht über all meine Kräfte. Ich bin noch nicht der, der ich sein möchte. Aber es ist noch nicht zu spät, noch kann ich dazu werden! Darum hör’ zu. Hör’ zu und gehorche!« Aus der Finsternis brannte sich das Feuer seiner Augen in Johns Wolfsseele, brannte ihm seine Worte dort ein.
»Steige wieder hinab und finde den Geheimnisvollen. Er ist hier, ich weiß es. In Bonnie Jeans Geist stieß ich auf ihn. Er suchte sie auf, nicht anders als sie jetzt mich aufsuchen muss – eine Zusammenkunft, der ich nun nicht mehr mit Freuden entgegensehe. B. J. ist nicht länger die ›kleine Mistress‹, der wir immer vertrauten, John. Sie wird diesen Kerl, meinen Mann-mit-den-zwei-Gesichtern, nicht zu mir bringen. Und ohne ihn war all dies umsonst. Darum musst du ihn hierherschaffen. Hast du verstanden?«
»Mein Gebieter!« Stolpernd tappte der Alte John einen Schritt näher an den Spalt in der Wand.
»Nein! Bleib stehen!«, erscholl das tiefe Grollen erneut, und John konnte es nicht nur hören, sondern spürte es auch, fast so als schlössen sich eiserne Kiefer um sein Gehirn. Denn Radu hatte telepathischen Kontakt zu ihm aufgenommen – im Wachzustand, überdies auch noch aus nächster Nähe, und hatte Johns Geist nun fest im Griff.
»Jawohl, mein Gebieter!« Der Alte John war stehen geblieben und rührte sich nicht von der Stelle.
»Hast du begriffen, was du tun musst?«
»Ich soll Harry Keogh finden und hierherschaffen.«
»Und zwar unverzüglich, John, wenn du nicht willst, dass ich Schaden nehme.« (Die Augen bewegten sich in der Düsternis, deuteten ein Nicken an.) »Denn es ist nicht allein Bonnie Jean, die ich jetzt fürchten muss, sondern auch andere.«
»Aye, um ein paar von denen habe ich mich bereits gekümmert«, erwiderte John. »Einen Ferenczy, und ein paar Drakuls ebenfalls.«
»Gut!« Der Hunde-Lord las in den Gedanken des Alten John, dass dieser die Wahrheit sagte. »Gut! – Aber trotzdem werden weitere kommen. Ich spüre sie schon ganz in der Nähe, wie sie nach mir suchen. Womöglich muss ich mich vor ihnen verbergen – obwohl ich nichts lieber tun würde, als unter ihnen zu wüten! Doch vor dir werde ich mich nicht verbergen, wenn du mit meinem Geheimnisvollen wiederkehrst. Und nun geh, mein Getreuer! Aber beeile dich, denn die Zeit ist nah ...«
Mit einem Mal glommen die roten Augen schwächer. Sie wichen zurück, wandten sich ab, und dann vernahm John ein leises, sich immer weiter entfernendes Tappen. Als er sich schließlich an die Öffnung der Nische heranwagte, lag diese tief und finster verlassen vor ihm.
Der Alte John musste sich beeilen; dennoch nahm er sich die Zeit, den Hügel aus Granitblöcken bis zum Sockel von Radus Sarkophag zu erklimmen und die allmählich niederbrennenden Fackeln zu löschen. Dabei sah er das Harz, das bei Radus Auftauchen übergeschwappt war – und noch etwas anderes, das ihn einen Augenblick lang erstarren ließ:
Eine Hand, weiß wie Alabaster, die schlaff über die Kante des riesigen steinernen Sarges hing; so weiß, dass sie aussah wie aus Schnee geformt. Offensichtlich handelte es sich um die Hand des jungen Garth, denn John erkannte den goldenen Ring am Zeigefinger. Allerdings war sie faltig und voller Runzeln, die Hand eines uralten Mannes, und John fiel der durchdringende, immer schriller werdende Schrei wieder ein, der dann einfach abgebrochen war.
Nun, das war es also gewesen; der Alte John fand nichts daran auszusetzen. Schließlich konnte der Hunde-Lord nach Belieben geben und nehmen, und nun hatte er eben genommen. War dies denn nicht zu erwarten gewesen, nachdem er so lange hatte darben müssen?
Und nun musste John sich wirklich beeilen, und er verlor keine Zeit. Er ging denselben Weg zurück durch das Labyrinth, auf dem er gekommen war, kletterte an seinem Seil einen lotrechten Schacht empor und trat aus dem Bau auf die morsche Kuppe des Vorgebirges hinaus. Kaum befand er sich im Freien, war ihm, als nehme er zwischen einer Gruppe von Felsblöcken eine hastige Bewegung wahr! Doch da
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