Vampirzorn
McGowan, hilflos mit seinen blutigen Stümpfen rudernd, vor Schmerz laut auf und stürzte einer felsigen Schlucht gut dreihundert Meter tiefer entgegen.
Brächte jemand genügend Grausamkeit auf, eine harmlose Gartenschnecke mit voller Wucht auf eine Betonplatte zu schleudern, würde er in etwa dasselbe Ergebnis erzielen.
George Ianson und Moreen konnten nun Ruhe finden, und viele andere ebenfalls ...
Starr vor Entsetzen stand Guy Tanziano vollkommen überrascht neben der offenen Tür des Helikopters. Francesco wirkte womöglich noch fahler als sonst. Mit den Worten »Mach’ die Scheißtür zu!« ließ er sich auf seinen Sitz sinken. »Hast du das gesehen? Oder bin ich dabei durchzudrehen? Das Mädchen ...«
»Was ist passiert?« Luigi Manoza saß vor seinen Instrumenten und hatte so gut wie nichts mitbekommen.
»Sie hat noch gelebt«, murmelte Dancer blöde vor sich hin, indem er die Kabinentür zuschob und den Griff drehte, um sie zu schließen.
»Nein.« Ein tiefes Knurren entrang sich Francescos Kehle. Er riss sich zusammen. »Sie war tot. Aber ... ich weiß nicht. Es hat so ausgesehen, als würde er – als würden sie miteinander reden!« Bei sich dachte er: Angelo sagte uns doch, dass er mit den Toten spricht!
»Vielleicht ...«, meinte Dancer. »Äh, vielleicht ...«
»Vielleicht was?« Es klang, als rede der Francezci mit sich selbst; er konnte noch immer nicht fassen, was geschehen war.
»Vielleicht war sie ja länger seine Sklavin, als wir dachten, vielleicht gar ein Leutnant.«
»Was?« Mit einem Mal sah Francesco Dancer in einem ganz neuen Licht. Denn »vielleicht« hatte er ja recht! Nein, kein Vielleicht; er musste einfach recht haben. Das Mädchen war eine voll entwickelte Vampirin gewesen und dies nur das letzte Aufbäumen ihres Metamorphismus. Das hatte nicht das Geringste mit »lebendig sein« oder Bewusstsein zu tun, es war lediglich das vampirische Wesen in ihr, das sich verzweifelt ans Leben klammerte. Doch damit war es nun vorbei. Wahrscheinlich war mittlerweile nur noch Matsch von ihr übrig.
»Was? Ich meine, was ist los? « Luigi Manozas pausbäckiges weißes Gesicht starrte noch immer nach hinten in den Passagierraum.
Der Francezci blickte ihn an. »McGowan ist tot. Ein Unfall. Jetzt sind wir nur noch zu dritt ...«
In ihrem ganzen Leben hatte B. J. noch nie so schnell den Anstieg bewältigt, fast so, als sei alles, was sie bisher geleistet hatte, jeder Augenblick, den sie an Hunderten von Steilhängen, insbesondere aber an diesem, an Erfahrung gesammelt hatte, nur eine Vorbereitung für diese Anstrengung gewesen. Ähnlich einem Sportler, der seine Kräfte für das letzte große Rennen aufspart, hatte auch B. J. sich bislang nie völlig verausgabt.
Obwohl Sandra – der sie in den vergangenen dreizehn Jahren alles beigebracht hatte, was sie wusste – sie beim Klettern behinderte, übertraf B. J. sich selbst. Seit einer halben Stunde jedoch, vielleicht auch schon länger, zeigte Sandra deutliche Ermüdungserscheinungen; das letzte Stück hatte B. J. sie mehr oder weniger mitschleppen müssen. An den unwirtlichen, oft lotrechten Granithängen rettete sie ihr mehrfach das Leben; dafür würde Sandra ihre Lebensversicherung sein, wenn sie schließlich ihrem furchtbaren Gebieter – oder vielmehr einstigem Gebieter, wie sie sich ständig in Erinnerung rufen musste – von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand.
Denn während B. J. beim Klettern mit bloßen Händen – oder auch mit Seil und Haken, die sie wenig schätzte – niemandem etwas vormachte, war Sandra eine ausgezeichnete Schützin. In ihrem winzigen Rucksack befand sich eine mit ganz spezieller Munition – nämlich mit Silberkugeln – geladene Pistole. B. J. hätte niemals gedacht, dass sie sie je gegen irgendjemand anderen als ihre Todfeinde einsetzen würde. Aber zum Teufel ... der Hunde-Lord war nun ihr Feind, sonst hätte er doch schon längst Kontakt zu ihr aufgenommen! Mittlerweile wies ihnen der Vollmond den Weg, Radus Zufluchtsstätte war nur noch einen leichten Überhang und ein schmales Felssims entfernt, und noch immer war der psychische Äther bar jeden Lebenszeichens.
Oder doch nicht? Denn hin und wieder spürte B. J. – immer nur kurz, wie ein leichtes Wellenkräuseln, so als versuche jemand flüchtig, in ihren Gedanken zu lesen – einen Beobachter, obwohl unmöglich einer in der Nähe sein konnte. Aber es war nicht Radu, nein. Sie wusste, wie er sich anfühlte, kannte seinen Geruch und hätte
Weitere Kostenlose Bücher