Vampirzorn
seinen Geist überall wiedererkannt.
Falls Radu bereits auferstanden war – sofern es dem Alten John und den anderen gelungen war, ihn aus dem Harz zu befreien –, verhielt er sich merkwürdig still. Also musste B. J. sich irren. Dass sie so unruhig war, lag wohl an der Nähe zu seiner Feste.
Sie löste einen kleinen Enterhaken von ihrem Gürtel, ließ die Zinken aufschnappen und schleuderte ihn nach oben in den von Spalten durchzogenen Fels, etwa dreieinhalb Meter über ihrem Kopf. Er fand sofort Halt und sie überprüfte, sich immer noch an den Felsen klammernd, seine Tragfähigkeit. Kein Problem, das hatte sie schon hundertmal getan. Die Füße gegen die Felswand gestemmt, kletterte sie, eine Hand vor die andere setzend, zu dem Überhang hoch, langte hinüber und zog sich über die Kante nach oben. Keine zweieinhalb Meter über ihrem Kopf saßen die Zinken noch immer fest verkeilt an ihrem Platz.
»Sandra«, rief sie leise hinab. »Jetzt kletterst du, ich ziehe dich hoch.«
Sandra tat wie geheißen. Sie umfasste das Seil, lehnte sich, die Füße gegen die Felswand stemmend, ins Leere und blickte gerade zu B. J. hinauf, als es passierte.
Ihre Augen weiteten sich; ihr Blick ging an B. J. vorbei und sie keuchte leise auf, was ganz und gar nichts mit ihrer Erschöpfung zu tun hatte. B. J. rollte sich auf die Seite, um ebenfalls nach oben zu blicken. Über ihrem Vorsprung befand sich eine Nische oder vielmehr Höhle in dem zerklüfteten Fels, die wohl gleichfalls ins Innere des Berges führte. Und aus dem Höhleneingang blickte über die Felskante das boshafte Gesicht eines Asiaten auf sie herab – ein Drakul!
Rache! , erschollen Singra Singh Drakeshs Gedanken geradewegs in B. J.’s Geist, während er das Seil durchschnitt. Rache für die meinen, die deine Leute auf den Felsen dieses Berges hier zerschellen ließen!
Zwar hielt B. J. das Seil fest, doch Sandra wurde von Panik übermannt. Mit ihrem ganzen Gewicht hing sie an dem Seil, das B. J. mit immer größerer Geschwindigkeit durch die Hände glitt. Es schnitt ihr in die Finger, bis diese bluteten, und das Blut machte ihren Griff nur rutschiger. B. J. vermochte das Seil nicht zu stoppen. Schließlich peitschte ihr das abgeschnittene Ende durch die Finger und verschwand in der Tiefe. Und Sandra ebenfalls, eine kleine, verängstigte Gestalt, die durch die Dunkelheit wirbelte, dem tosenden, schwarzen Fluss am Grund der Schlucht entgegen.
B. J. stemmte die Füße in einen schmalen, geröllübersäten Einschnitt, ein natürliches »Fenster« am Ende ihres Simses und sah erneut nach oben. »Du ... du Bastard!«, stieß sie hervor. »Du bist ein toter Mann!«
Singra Singh blickte, auf dem Bauch liegend, zu ihr hinab. »Ich glaube nicht«, sagte er. Sein Messer hatte er wieder verstaut, dafür zog er nun etwas anderes hervor.
Als B. J. die hässliche stählerne Mündung der Maschinenpistole sah, begann sie hektisch aus der Schusslinie zu kriechen, und versuchte, sich unter den Rand des Einschnitts in das labyrinthische Höhlensystem, das, wie sie wusste, dahinter lag, zu zwängen. Aber sie blieb mit ihrer Ausrüstung hängen. Singhs schmale Lippen verzogen sich zu einem Grinsen und entblößten dabei nadelspitze Zähne. In aller Ruhe richtete er das Visier aus ...
... und mit einem Mal vernahmen beide ein telepathisches Knurren. Du bist zwar das weitaus kleinere Übel, zugegeben, wandte sich eine mentale Stimme an Singra Singh, dafür aber in Reichweite. Außerdem ziehe ich es jederzeit vor, einen Drakul anstelle einer Lykan zu töten, selbst wenn es sich um eine noch so heimtückische Hexe handelt!
Gleich darauf erscholl ... ein Knirschen, so laut und deutlich, dass B. J. das Knacken der Knochen geradezu spürte. Der gequälte, schmerzerfüllte Ausdruck auf Singra Singhs Gesicht, als er seine Waffe fallen ließ, um sich wie ein Fisch auf dem Trockenen aufzubäumen, sagte alles ... Dann begann er nach hinten zu rutschen, wurde mühelos in die Höhle gezogen!
B. J. wusste, was ihn gepackt hielt, musste aber dennoch nachsehen:
Eine ungeheure Pranke mit nahezu zehn Zentimeter langen Klauen reckte sich über seinen Kopf, ein Ruck, dann war er verschwunden. »Ah! Ah! Ahhh!« Immer schriller wurde der Todesschrei des Drakuls, bis er plötzlich abbrach.
Das Entsetzen verlieh B. J. Flügel. Mühsam zwängte sie sich durch die enge Öffnung ins Innere der Feste. Während sie in die Finsternis des Labyrinths aus Höhlen und Gängen glitt, das niemand besser kannte
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