Vampirzorn

stieg der Staub noch höher auf, und der Spalt verbreiterte sich zusehends, als sie weitere – diesmal unerklärliche – Detonationen spürten ...
    »Bring’ das Ding in die Luft!« Antonios Lippen formten die Worte, während Mario den Motor des Helikopters hochjagte in der eindeutigen Absicht abzuheben. Der Hubschrauber ruckte und hüpfte, setzte wieder auf und begann sich schließlich mit einem schrillen Aufheulen in die Luft zu erheben. Antonio schäumte vor Wut. Seine Tentakelfinger waren wie Gummi, er vermochte damit kaum den Gurt anzulegen. Dann fielen die Mauern der Manse Madonie unter ihnen weg – allerdings schneller als der Hubschrauber an Höhe gewann! Sie fielen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, zerbröckelten, stürzten ein, und das gesamte Imperium der Francezcis oder vielmehr Ferenczys mit ihnen – so als wollte die gewaltige Klippe es einfach verschlucken.
    Antonio lachte schallend, sein Fleisch kräuselte sich und geriet ins Wogen. In seinem Gesicht ging eine Veränderung vor, und Mario lehnte sich, verzweifelt bemüht, den Hubschrauber unter Kontrolle zu halten, schluckend von ihm weg. Aber der Hubschrauber war in der Luft und stieg stetig höher, während die Manse Madonie mit einem Ächzen in den Abgrund sackte.
    Keinen halben Kilometer entfernt standen Radu und Harry oben auf ihrem Felsvorsprung. Sie sahen die Lichter des Helikopters und hörten das immer schneller werdende Whup, Whup, Whup der Rotoren. »Der andere Bruder«, sagte Harry grimmig. »du kannst dein Leben darauf verwetten, dass er es ist – nun ja, du vielleicht nicht. Der letzte Knopf, Radu. Zeit, ihn zu drücken.«
    Was darauf geschah, war an Dramatik nicht mehr zu überbieten. Als würde jemand einen gigantischen Fächer wegwerfen, wurde die gesamte Rotoreinheit weggesprengt und funkensprühend in den Nachthimmel geschleudert. Der Rumpf der Maschine ging in Flammen auf, dunkle Konturen, die sich in einem alles verzehrenden Feuerball und der darauf folgenden Explosion mitsamt ihren vampirischen Passagieren erst in ihre Bestandteile – Plastik, Metall und Fleisch – auflösten, um dann ununterscheidbar miteinander zu verschmelzen.
    Wo einst die Manse Madonie gestanden hatte, befand sich nun, noch völlig frisch und unberührt, ein Abhang, und in den Aufwinden trieben noch immer kleine Trümmerteile. Von der Dynastie der Ferenczys war nichts mehr übrig bis auf ein paar ameisengleiche Gestalten – eine Handvoll Knechte und ein, zwei Leutnante, die völlig benommen in Panik über das Plateau hasteten.
    »Und jetzt werde ich wüten!«, knurrte Radu.
    Wer könnte das besser als du, dachte Harry. Laut hingegen sagte er: »Unterdessen habe ich noch etwas zu erledigen.«
    »Die Drakuls?« Radu klang verunsichert. »Dann sollte ich besser mitkommen ...«
    »Nein«, erwiderte Harry. »Am besten, du ... räumst hier auf.«
    Radu nickte mit seinem gewaltigen, zottigen Schädel. »Irgendwie vertraue ich dir. Tu’ es für mich, Necroscope!«, bat er Harry eindringlich.
    »Tut mir leid«, entgegnete dieser. »Das habe ich schon jemand anderem versprochen. Eigentlich ziemlich vielen anderen.«
    »Vergiss bloß nicht, mich hier wieder abzuholen«, sagte Radu. Und dann folgte die unvermeidliche Drohung: »Du weißt ja, ich habe immer noch Bonnie Jean.«
    »Oh, das habe ich nicht vergessen«, erwiderte Harry mit merkwürdigem Gesichtsausdruck in einem eigentümlichen Tonfall.
    Damit verschwand er und Radu zog los, um zu wüten ...
    Im sogenannten Kloster Drakesh auf dem Tingri-Plateau war Mitternacht bereits seit zwei Stunden verstrichen, und doch konnte Daham Drakesh sich noch immer nicht dazu überwinden, es zu tun. Obwohl er über Tausende von Meilen hinweg die Todesschreie seines Leutnants Singra Singh vernommen hatte und wusste, dass die Garnison von Xigaze einen neuen Befehlshaber hatte und sie nun jederzeit hier aufkreuzen und alles unter die Lupe nehmen könnten, vermochte er sich nicht dazu durchzuringen. Seine Kreaturen waren noch nicht herangereift, seine zahllosen Kinder in der alten, ummauerten Stadt noch Säuglinge, die von flammenäugigen, vampirisierten Müttern Blut saugten; nach wie vor war sein Kloster der sicherste Ort der Welt, zumal einer Welt, die auf einen einzigen Knopfdruck hin in Flammen aufgehen konnte.
    Drakesh hatte vorgehabt, diesen Knopf zu drücken, hatte es immer noch vor – und doch hoffte er, dass die Spezialeinheit in Xigaze sich noch ein bisschen Zeit lassen würde. Sollte er gezwungen sein, von