Vampirzorn
mich in Angelo Ferenczys Geist begebe oder ihm Zugang zu dem meinen gewähre?« Noch ehe Francesco etwas darauf erwidern konnte, fuhr er fort: »Ja, du hast recht: Ich habe ihm immer näher gestanden als du. Ich kam stets gut mit ihm zurecht, und er schien mich immer ›gern‹ zu haben. Aber glaubst du, das bereitet mir keine Sorge? Oh doch, Francesco, das tut es. Das tut es ...«
»Eh?« Francesco legte die Stirn in Falten. »Du machst dir Sorgen? Darüber, dass er dir irgendwie einen Schaden zufügen könnte? Aber wenn er einem von uns etwas tun würde, dann doch mir! Ich glaube wirklich, dass er mich hasst! Außerdem ist er doch gar nicht in der Lage, aus seiner Grube heraus einem von uns beiden zu schaden.«
»Nun, wenigstens bist du konsequent«, seufzte Toni geduldig, indem er den Kopf über die seiner Meinung nach offenkundige Naivität seines Bruders schüttelte. »Seit über dreihundert Jahren ist er für dich nie etwas anderes als ein Ungeheuer in einer Grube gewesen.«
»Falsch!«, entgegnete Francesco. »Er war für mich immer auch unser Vater – und wie ich den Gedanken verabscheue, dass dieses Ding uns gezeugt hat! Aber was mit ihm geschah, musste ja so kommen. Na, sein Zwillingsbruder war doch ebenfalls ein Ungeheuer, das sie gleich nach der Geburt erstickten und als Monstrosität verbrannten. Weißt du, was mich seit Jahrhunderten quält? Es dürfte nicht allzu schwer zu erraten sein. Dass wir von seinem Fleisch sind! Erwartet uns womöglich das gleiche Schicksal? Wird unser Metamorphismus etwa auch irgendwann ausufern und aus uns eine Masse schwabbelnden, dreckigen Protoplasmas machen?«
Toni packte ihn am Arm. »Beinahe!«, entfuhr es ihm. »Um ein Haar hättest du es gehabt. Aber du hast ein äußerst wichtiges Wort vergessen: schwabbelndes, dreckiges, mit einem Bewusstsein ausgestattetes Protoplasma! Und noch etwas hast du nicht bedacht, Francesco, nämlich die Tatsache, dass er ein Wamphyri ist!«
»Eh?« Francesco machte große Augen. Verwirrt starrte er ihn an.
»Und was sind die Eigenschaften der Wamphyri?«
Francescos Gesichtsausdruck veränderte sich. »Ein Wortspiel«, höhnte er. »Das kann nur ein Wortspiel sein! Du bist ja genauso schlimm wie er! Wir können uns noch nicht einmal ganz normal unterhalten, ohne dass ...«
»Tu mir den Gefallen«, beharrte Toni. »Was sind die Eigenschaften eines Wamphyri?«
Francesco schüttelte seine Hand ab. »Na gut, sonst kommen wir ja gar nicht mehr weiter! Gemäß dem Ding in der Grube waren die Wamphyri bekannt für ihre Gier und ihre sexuelle Unersättlichkeit. Sie lügen und wachen eifersüchtig über ihr Territorium.«
»Und?«
»Eh?«
»Und sie sind hartnäckig «, knurrte Toni. »Kapierst du jetzt? Das meinte ich, als ich sagte, du hättest es um ein Haar gehabt. Du hast es doch selbst gesagt: Er hat uns ›gezeugt‹ – wir sind lediglich seine Blutsöhne!«
Francesco schüttelte den Kopf. »Ich verstehe immer noch ...«
»Er trägt nach wie vor seinen Egel in sich!«, unterbrach Toni ihn.
»Seinen Egel? Aber der müsste mittlerweile doch ebenfalls ...«
»Nein; denn wenn dem so wäre, dann würde er ganz einfach nicht mehr weiterleben wollen. Sein Egel macht seine Beharrlichkeit aus, er ist das Einzige, was ihn am Leben hält. Und sein Egel hat immer noch sein Ei!«
»Machst du dir deshalb Gedanken? Aber du bist doch bereits ein Wamphyri! Weder Angelos Egel noch sein Ei könnten irgendwie in dich gelangen. Das geht nicht!«
»Ich weiß, ich weiß«, erwiderte Toni bleich, bleicher denn je. »Aber in jüngster Zeit habe ich jedes Mal, wenn ich mit ihm reden muss – so wie jetzt – so ein unbestimmtes Gefühl, als würde er auf etwas ... warten.«
»Warten?«
»Ja, abwarten, planen, beobachten! Frag’ mich nicht, worauf. Aber ich sage dir eins: Ich glaube, wir hatten verdammt viel Glück, als wir es schafften, ihn da hinunterzukriegen.«
»Ha!« , schnaubte Francesco. »Wenn jemand Glück hatte, dann er! Während der letzten Jahre seines Niedergangs hätten wir ihn hundertmal um die Ecke bringen können. Was das angeht, könnten wir es jetzt immer noch tun! Wir brauchen bloß ein Zweihundert-Liter-Fass Kerosin hinunterlassen, eine Stange Dynamit dazu ... und es gibt keinen Angelo Ferenczy mehr, über den wir uns Sorgen machen müssen!«
»Und auch kein Orakel«, hielt Toni ihm entgegen. »Mit unserer Machtbasis wäre es damit ebenfalls aus. Das ist die Logik eines Defaitisten, Bruder. Noch vor zehn Minuten wolltest
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