Vampirzorn
meine, falls du es noch nicht bemerkt hast, Bruder: Unsere Julietta – oder meinetwegen auch meine, wenn du so willst – ist eine Wamphyri! Sie könnte einigen Schaden anrichten! Um uns beide, dich und mich, mache ich mir da überhaupt keine Sorgen, aber um unsere Männer und Leutnante. Das Letzte, was wir jetzt brauchen können, ist, in diesem Stadium noch jemanden zu verlieren.«
»In was für einem Stadium befinden wir uns denn?« Toni sah mit einem Mal schwarz; das war ungewöhnlich, denn normalerweise war er der Optimist. »Hat es in den vergangenen zwei, drei Jahren womöglich eine Veränderung gegeben, die mir entgangen ist?«, fragte er sarkastisch. »Habe ich irgendetwas verpasst?«
»Ja!«, fuhr sein Bruder ihn fauchend an, während er ihn aus blutroten Augen anfunkelte. »Das hat es! Die Zeit ist anders geworden. Sie läuft uns davon, und seine, Radu Lykans, verdammte Zeit bricht bald an! Und das groteske Ding in dieser dämlichen Grube hat sich ebenfalls verändert: Angelo, unser lieber Vater, ist unzuverlässiger und zugleich unverschämter denn je. Unser Vermögen wurde uns genommen, und wir haben noch nichts deswegen unternommen. Auf der ganzen Welt ... lachen die Familien hinter unserem Rücken! Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich kann es spüren! Und seit wir anfingen, Fragen über das britische E-Dezernat und diesen Harry Keogh und den verdammten Alec Kyle zu stellen – Fragen über Tote , zum Teufel noch mal –, will weder die CIA noch der KGB noch sonst irgendjemand, den wir früher benutzen konnten, etwas mit uns zu tun haben! Dann ist da noch diese ›Sekte‹ der Drakuls in England und Schottland, und der letzte Bericht unseres Gefolgsmannes kam vor über drei Monaten. In dieser Richtung haben wir ebenfalls noch nichts unternommen! Was? Macht es dir etwa Spaß, mich zu fragen, ob irgendein Scheiß sich verändert hat?«
»Beruhige dich!«, seufzte Toni. »Ganz ruhig! In Ordnung, es hat also Veränderungen gegeben. Aber das meinte ich nicht. Oder vielleicht doch? Es ist nur so, dass das tatenlose Herumsitzen mich krank macht ... ich habe genug davon und von all dem anderen auch, das du erwähntest. Ja, es stimmt: Ich habe es genauso satt und bin ebenso sehr frustriert wie du! Und als ob das noch nicht genug wäre, muss ich jetzt auch noch mit ihm reden und versuchen, aus dem, was er von sich gibt, einen Sinn herauszulesen.«
»Huh!« , grunzte Francesco, wenigstens teilweise besänftigt. »Nun, ich muss zugeben, dass ich dich nicht darum beneide. Aber so ist es nun mal. Mich will er doch noch nicht einmal wahrnehmen!«
»Deshalb frage ich mich ja, was es uns bringt, wenn wir ihm Julietta überlassen.«
»Hör’ auf, dir den Kopf zu zerbrechen«, entgegnete Francesco. »Frage dich lieber, was sie uns als Untote beschert! Denn genau das wird sie sein, wenn wir sie wieder aufwachen lassen – eine Wamphyri! Damit ist es also entschieden: Angelo bekommt sie! Alles, was jetzt noch zu tun bleibt ...«
»... ist das Feilschen«, nickte Toni. »Ja, ich weiß.«
»Wahrscheinlich ist es so ohnehin am besten.« In einem seltenen Anflug von Kameraderie legte Francesco doch tatsächlich den Arm um die Schultern seines Bruders. Es war zwar nur Schau, doch Toni schüttelte ihn sofort ab.
»Was ist am besten?«, wollte er misstrauisch wissen.
»Dass du derjenige bist, der mit Angelo spricht. Ich meine, er war schon immer schwierig, unser Vater, aber noch nie so schwierig wie jetzt. Sehen wir den Tatsachen doch ins Gesicht: Ich bin ziemlich reizbar, meine Geduld reicht einfach nicht aus, mich ... nun ja, mich auf seine Spielchen einzulassen. Du dagegen hast dich schon immer auf seine Wortspiele verstanden. Und außerdem mag er dich.«
»Huh!«, knurrte Toni. »Das soll wohl ein Kompliment sein, oder?« Offensichtlich war er nervös. Man erkannte es daran, wie er sich mit der Zunge über die Lippen fuhr und ständig in den Brunnen oder vielmehr die Grube hinabblickte. »Damit willst du mich doch nur aufmuntern, eh?«
Francesco kniff die Augen zusammen. »Was ist los? Hast du Angst? Wovor? Ich meine, du machst das doch nicht zum ersten Mal ...«
Toni blickte ihn an. »Du willst es einfach nicht verstehen, oder?«, schnitt er ihm das Wort ab. »Nein, es ist nicht das erste und auch nicht das zehnte oder zwanzigste Mal, dass ich mich in dieser Weise mit ihm unterhalte. Aber in letzter Zeit ... wird es von Mal zu Mal schlimmer. Erkennst du denn nicht die Gefahr, in der ich schwebe, wenn ich
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