Vampirzorn
zu ärgern – um ihn zu übergehen und seine Gegenwart gar nicht erst anzuerkennen –, hatte Angelo jeden Zwang von ihnen genommen ... und nun fielen auch die Übrigen ein in das irrsinnige Geplapper. Alle redeten sie durcheinander, alle richteten sie sich an Francescos gebeutelten Geist, jeder auf seine Weise, und wiesen ihn zurück:
Er will nicht mit dir reden!
Mööörder! Vatermööörder! Ersuche ihn bloß nicht um ein Gespräch. Zwinge es ihm nicht auf! Er vermag, deine Träume gegen dich zu wenden und deinen Geist zu verwirren. Du suchst ihn auf, um ihn zu quälen. Aber sollte er dich heimsuchen ...
LAUF! SO LAUF DOCH! WILLST DU ETWA, DASS ER SICH IN DIR ERGEHT, SO WIE WIR IN IHM AUFGEGANGEN SIND?
Im Augenblick kehrt er dir noch den Rücken. Geh jetzt, bevor er sich dir zuwendet!
Ihr seid alle verflucht, ihr Ferenczys, und allen voran Francesco!
OH, HA HA HA! DA HAST DU DEINEN METAMORPHISMUS! DOCH WIE LANGE NOCH, BIS ES DICH ERWISCHT?
Die Sünden der Väter, Francesco ...
Deinen Vater freut es, dass der Fluch auch dich trifft!
ER WILL NICHT MIT DIR SPRECHEN!
Mit dir nicht, Francesssco ...
Die Stimmen wurden leiser. Toni wandte sich halb von der Grube ab. »Weg! Mach’, dass du wegkommst!«, zischte er Francesco an. Dieser wich mit bleichem Gesicht zurück, die Hände vor den Körper gestreckt, wie um die unsichtbaren mentalen Präsenzen abzuwehren. »Weg von der Grube und von ihm! Mit deiner Reizbarkeit bringst du dich ... uns beide ... in Gefahr! Ich weiß, mit mir wird er reden! Das spüre ich. Aber du hast recht: Mit dir will er nichts zu tun haben. Und das kann ich ihm, verdammt noch mal, nicht verdenken!«
»Wer bist du, etwa sein Scheiß-Aufpasser?« Dennoch wich Francesco mit verzerrter Miene weiter zurück. »In Ordnung, du kannst ihn haben. Verbrenne den nichtsnutzigen, durchgeknallten alten Bastard, das ist mein Vorschlag! Ich bin mit ihm fertig! Scheiß auf ihn und auf dich auch!«
Damit wandte er sich um und glitt mit der unheimlichen Geschmeidigkeit der Wamphyri zum Ausgangsschacht. Dort drehte er sich noch einmal um und blickte zurück. Francesco war noch immer für die Beerdigung angezogen, darum fiel die grässliche Veränderung, die mit ihm vorgegangen war, umso mehr ins Auge. Denn er war wütend, und sein Vampiregel verstärkte seinen Metamorphismus noch.
Seine Augen leuchteten blutig rot. Sein Gesicht war nur noch eine bleigraue Grimasse, die Nasenlöcher weit gebläht in der gewundenen, flachen Fledermausschnauze, der Mund ein klaffender, mit Fangzähnen bewehrter Schlitz. »Zur Hölle mit euch beiden!«, knurrte Francesco. »Ihr passt gut zueinander, du und dein ›teurer Vater‹!«
Eine letzte Spitze konnte sein »teurer Vater« sich nicht verkneifen. Es war ein düsteres mentales Zischen:
Keine Sorge, dazu sind wir ohnehin verdammt, Francesssco! Und, mein Sohn, an deiner Stelle würde ich meine Verwandlungskünste in Zaum halten. Immerhin sind wir vom selben Blut, Francesco, und die Blutlinie der Wamphyri wird unverfälscht weitergegeben. Ich frage mich, in wessen Grube du wohl einst hausen und das Orakel spielen wirst, in, sagen wir: zwei-, dreihundert Jahren? Oh, ha ha ha ha haaaaa!
Doch Francesco war bereits verschwunden, und nur das verhallende Geräusch seiner Schritte auf den steinernen Stufen drang in die Höhlung unten in der Grube. Schließlich fragte Tonio mit angehaltenem Atem: »Können wir jetzt miteinander reden? Und wirst du mir ehrlich, nach bestem Wissen antworten?«
Prompt tasteten sich die Gedanken seines Vaters kriechend wie fette, kalte Würmer durch ein Grab in seinen Geist. Oh, was haben wir denn hier? Habe ich da etwa ... noch jemanden entdeckt?
Toni stand immer noch über die Ummauerung des Schachtes gebeugt, einen Arm ausgestreckt, um die über der Grube schwebende Plattform festzuhalten. Mit gerunzelter Stirn überlegte er, was sein Vater wohl damit meinte ... doch schon im nächsten Moment begriff er.
»Eh?«, stieß Julietta hervor. Es war nur ein erstes, zaghaftes Atemholen, doch es bohrte sich wie ein Stich in Tonis Bewusstsein. Julietta! Sie war erwacht! Und zwar als Wamphyri!
Rasch zog er seine Hand weg und spürte, wie ihre Finger ihm die Haut von den Knöcheln kratzten. Um ein Haar hätte sie ihn gepackt. Mit einem Ruck fuhr sie hoch, knickte in der Hüfte ein und setzte sich auf wie ein Leichnam in einem Sarg. Der Vergleich war angemessen: Auf einer über einer albtraumhaften Grube hängenden Plattform kehrte ihr Bewusstsein,
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