Vampirzorn
auf seine Wortspielereien ein, sondern sage es ihm geradeheraus. Unser geliebter Vater hat die Wahl. Also soll er sie nun auch treffen!«
»Sei still!«, fuhr Toni ihn an und wandte sich sofort wieder besorgt der Grube zu. »Er lauscht nicht nur«, sagte er über die Schulter, »er redet auch! Und was er sagt, ergibt endlich einen Sinn – also lass ihn!«
Ach, Antonio, mein kleiner Antonio! Ist das noch derselbe kleine Junge, den ich im kühlen Schatten der Manse Madonie auf den Knien wiegte? So ohne Arg – nun ja, gewissermaßen – und voller Fragen? Der Sohn, der mir so nahestand und mir so teuer, so wissbegierig war, dass er an den Lippen seines Vaters hing und aus dessen Taten lernen wollte, wie die Wamphyri sind? Ach, in jenen Tagen war für dich jedes Wort von mir wie eine Offenbarung, wie ein Schwamm saugtest du auf, was ich sagte. Und ich wusste, dass du ein treuer Blutsohn bist, aye ...
»Es hat sich nichts geändert, Vater«, erwiderte Toni. »Wir sind beide hier, du und ich, so wie immer. Und noch immer komme ich zu dir mit meinen Fragen, begierig, deine Antworten zu hören. Allerdings antwortest du jetzt nur noch selten.«
Oh ja, ich weiß, erklang voller Selbstmitleid Angelo Ferenczys Stimme in Tonis und Francescos Bewusstsein. Doch sie wussten, dass es nur gespielt war. Ich habe gelauscht, zugegeben. Ich lauschte euch beiden, dir und Francesco ... aber nach allem, was ich weiß, hätte es ebenso gut ein Traum sein können. Oder ein Albtraum! Ich bete um ein Wort des Trostes, warte auf eine Kleinigkeit, und sei sie noch so gering, um mich aufzumuntern, vielleicht hoffte ich sogar auf einen kleinen Leckerbissen, der mir die endlose Langeweile dieses Höllenpfuhles erträglicher macht? Doch was ich hörte ... war etwas völlig anderes.
»Du hörtest die Worte wütender, verzweifelter Männer ohne jede Hoffnung, Vater«, entgegnete Toni. »Denn wir wissen nicht mehr ein noch aus.«
Und du willst mir erzählen, nichts habe sich geändert?, fuhr das Wesen in der Grube fort, als sei es gar nicht unterbrochen worden. Oh, ja, ich entsinne mich, dass du das Gleiche auch zu Francesco sagtest. Und auch er widersprach dir. Ich habe mich verändert – in ein Ding, das noch nicht mal mehr eine richtige Kreatur ist. Und ihr habt euch verändert – ihr seid rücksichtslose Männer geworden. Und die Zeiten haben sich ebenfalls geändert – sie sind voller Gefahren!
Begierig, mehr zu erfahren, beugte Toni sich weiter vor. Mit einer Hand umfasste er die Ummauerung des Brunnens, mit der anderen stützte er sich auf Juliettas schwankende Plattform, um am Rand des Schachtes sicheren Halt zu haben, und richtete seine Frage geradewegs in die Tiefe. »Was weißt du darüber? Kannst du uns sagen, worum es sich handelt? Werden wir bedroht? Denn vergiss nicht, Vater: Was für uns gefährlich ist, bedeutet auch für dich eine Bedrohung!«
Aye, und die größte Bedrohung für mich seid ihr beide, du und dein Bruder.
»Schluss damit!« Francesco konnte sich nicht länger zurückhalten. Er trat vor und starrte hinab in die glosende Finsternis. »Wenn du uns belauscht hast, dann weißt du auch, dass Toni für dich gesprochen hat. Oh, ich kann sehr heftig werden und mir große Sorgen darüber machen, was draußen in der Welt vor sich geht – worüber wir Bescheid wüssten, wenn du dich nur ein bisschen anstrengen würdest. Ja, und ich kann fürchterliche Drohungen ausstoßen, wenn auch aus reiner Enttäuschung und auch wenn ich sie niemals wahr machen würde. Aber wenn es hart auf hart kommt, steht Toni wie stets auf deiner Seite. Wenn du gelauscht hast, dann hast du sicher auch mitbekommen, dass er sich dazu entschied, hier zu bleiben, um sich um dich zu kümmern?«
Zwei, drei Sekunden lang herrschte Schweigen. Kein Laut war zu hören, und auch im metaphysischen Äther rührte sich nichts. Doch schon im nächsten Moment war die Atmosphäre in der Grube aufgeladen wie vor einem Gewitter. Die Scheinwerfer, die die Öffnung des Schachtes erhellten, wirkten auf einmal trübe. Angelo Ferenczys Ausdünstungen, sein »Atem«, strömten schneller und kälter empor, und das Dunkel unten in der Grube schien zu brodeln.
Dann erscholl eine Stimme: Er möchte nicht mit dir sprechen! Sie gehörte jemand anderem und nicht ihrem Vater, einem seiner Opfer, das er vor langer Zeit absorbiert hatte, einem der zahllosen Bewusstseine, die nicht minder wahnsinnig waren als Angelo, womöglich wahnsinniger. Aus reiner Bosheit, nur um Francesco
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