Vampyr
Überall waren Leichen. Manche bereits bis auf die Knochen zerfallen. Allein der Geruch –«
»Weiß die Wache davon?«, unterbrach Martáinn ihn.
Das Leben im Glen Beag war schon immer seine eigenen Wege gegangen, unberührt vom Wandel der Zeiten außerhalb des Tals. Während in den übrigen Highlands ein ständiger Kampf gegen den stärker werdenden Einfluss der Engländer tobte, hatte noch kein Rotrock seinen Fuß in das Glen Beag gesetzt. Manchmal fragte sich Catherine, ob die Engländer überhaupt von der Existenz dieses Ortes wussten. Auch die Schotten kümmerten sich nicht um das Tal. Es schien, als habe der Chief der MacKays es ebenso vergessen wie der Rest der Welt. Anders konnte Catherine sich nicht erklären, warum seine Gerichtsbarkeit es nicht vermochte, hier Einzug zu halten, obwohl Durness, wo der Chief seinen Sitz hatte, nicht mehr als sieben oder acht Tagesreisen entfernt war. Im Glen Beag sorgten seit jeher die Clanskrieger des jeweiligen Earls für Recht und Ordnung. Ein Teil von ihnen war zur Wache abkommandiert; stationiert in Asgaidh oblag ihnen der Schutz der Bewohner.
»Ja, Herr, die Wache ist natürlich alarmiert«, antwortete Walter. »Dennoch …«
»Dennoch bist du besorgt und möchtest sichergehen, dass der Übeltäter gefunden wird.« Martáinn nickte. »Das möchte ich auch.« Er erhob sich und wandte sich an die Menge. »Bürger von Asgaidh, ich versichere euch, wir werden jenen finden, dem diese grässlichen Taten anzulasten sind! Ich werde dafür sorgen, dass die Wache Verstärkung erhält, nicht nur für die Suche nach dem Mörder, sondern auch, um euch vor ihm zu schützen. Niemand soll …«
Ein leises Scharren schreckte Catherine auf. Ihre Augen wanderten durch die Gasse. Nichts. Wahrscheinlich nur eine Ratte. Oder ein Hirngespinst, geboren aus den grauenhaften Dingen, die sie gehört hatte. Sie wollte sich schon wieder dem Podium zuwenden, da vernahm sie es erneut. Es kam von einem der Dächer. Sie legte den Kopf in den Nacken. Regen schlug ihr ins Gesicht und machte es schwierig, etwas zu erkennen. Es dauerte eine Weile, ehe sie die Gestalt auf dem Schieferdach des gegenüberliegenden Hauses entdeckte, die sich auf dem Bauch Stück für Stück an den Dachfirst heranschob. Was hielt er da in seinen Händen? Catherine kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können – und versteinerte, als sie die Armbrust erkannte. Was hatte er vor? Martáinn! Aber was sollte sie tun? Wie konnte sie die Wache aufmerksam machen, bevor es zu spät war? Und ohne dass sie mich bemerken.
Als sie sah, wie der Mann anlegte, rückten alle Bedenken in weite Ferne. »Martáinn!«, schrie sie. »Ein Attentäter!«
Ihre Warnung gellte über die versammelte Menschenmenge. Für die Dauer eines Herzschlags erstarrte der Platz in Stille. Selbst der Regen schien den Atem anzuhalten. Ap Fealan reagierte rasend schnell. Er packte Martáinn und riss ihn zur Seite. Einen Wimpernschlag später schlug ein Bolzen krachend in die Rückenlehne des Throns. Schreiende Menschen suchten ihr Heil in der Flucht, trampelten einander nieder. Martáinn stürmte, von seinen Clanskriegern geschützt, vom Podium.
Mit angehaltenem Atem beobachtete Catherine, wie der Attentäter auf dem Dach in Deckung ging. Ihre Augen zuckten zwischen ihm und dem Hexenkessel, in den sich der Marktplatz verwandelt hatte, hin und her. Martáinn und seine Männer erreichten ihre Pferde. Wasser spritzte auf, als sie in gestrecktem Galopp davonpreschten. Die übrigen Wachen schwärmten aus und bahnten sich ihren Weg durch die panische Menge.
Auf der anderen Seite der Gasse glitt der Attentäter vom Dach. Es war derselbe Mann, der zuvor die Börse entgegengenommen und sie in seinem Plaid verstaut hatte. Seine Augen funkelten hell, als er sie direkt ansah. Er deutete mit der Armbrust auf sie, als wollte er sagen: Du hast meine Pläne zerstört! Dann ließ er die Armbrust fallen und zückte einen Dolch. Catherine wich erschrocken zurück. Ihr Blick fing die Wachen ein, die sich durch die letzten Ausläufer der Menge kämpften. Sie werden nicht rechtzeitig hier sein.
Menschen rannten stolpernd an ihnen vorüber, ohne ihr oder dem Mann mit dem Dolch Beachtung zu schenken. Er beschleunigte seine Schritte. Der Abstand schmolz. Alles in Catherine drängte zur Flucht. Er wird mich einholen, noch ehe ich die nächste Gasse erreicht habe.
Panisch suchte sie nach einem Ausweg. Da stürzte er sich auf sie. Die Wucht seines Angriffs warf Catherine zu
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