Vampyr
drängten nach vorne, näher an das Podium heran. Wie von einer Flut wurde sie mitgerissen, musste sich treiben lassen, wohin die wogende Menge sie brachte. Immer näher wurde sie an die Reihe von Clanskriegern herangeschoben. Die Männer, allesamt in die grün-schwarzen Kilts der MacKays und schwarze Uniformjacken gewandet, hielten den Weg für ihren Herrn frei.
Zu nah! – Viel zu nah! Wenn Martáinn zum Podium ging und seinen Blick über die Menge schweifen ließ, konnte ihr das zum Verhängnis werden. Vielleicht erkennt er mich nicht mehr. Seit ihrer letzten Begegnung waren vier Jahre vergangen – eine lange Zeit, die sie verändert hatte.
Unwillkürlich wanderten ihre Augen nach Norden, wo sich Dun Brònach auf einem Felsplateau erhob. Die grauen Burgmauern schienen im Gegenlicht anzuwachsen, dem Himmel entgegen, während ihr Schatten nach dem Ort griff. Im Talkessel darunter, von zerklüfteten Felswänden und Wäldern eingeschlossen, kauerten sich die Häuser Asgaidhs aneinander, als wäre Dun Brònach ein zum Sprung bereites Raubtier, das sich jeden Augenblick herabstürzen könnte.
Früher einmal war Dun Brònach Catherines Zuhause gewesen. Ein Ort der Wärme und Freundschaft. Doch Glück war zerbrechlich wie Glas. Binnen weniger Stunden war ihr Zuhause zu einem kalten Ort geworden, voller schmerzlicher Erinnerungen und der Aussicht auf eine Zukunft, dunkel wie der Stein, aus dem die Mauern erbaut waren. Catherine hatte Dun Brònach und das Glen Beag mit dem festen Vorsatz verlassen, niemals zurückzukehren. Damals konnte ich nicht ahnen, dass Martáinn am Leben ist .
Ihre Augen hefteten sich erneut auf die Krieger. Nein, vermutlich würde Martáinn sie nicht erkennen. Früher hatte sie edle Gewänder und kostbaren Schmuck getragen und ihre Zofe hatte ihr das Haar zu einer kunstvollen Frisur aufgesteckt. Heute sah sie aus wie ein Bauernmädchen. Gehüllt in ein schlichtes braunes Kleid, die üppigen rotbraunen Locken zu einem einfachen Zopf geflochten. Catherine hatte gelernt mit dem Nötigsten auszukommen und manchmal erstaunte es sie, dass es ihr genügte.
Blicke berührten ihren Nacken. Sie wandte den Kopf. Unzählige Augenpaare begegneten ihr aus der Menge, streiften sie gleichgültig, ehe sie weiterwanderten. Was sie spürte, war etwas anderes. Jemand beobachtete sie. Seit sie vor zwei Tagen in Asgaidh angekommen war, gab es immer wieder Momente, in denen sie sich verfolgt fühlte. Doch jedes Mal, wenn sie sich umsah, fiel das Gefühl von ihr ab, als hätte allein ihre Bewegung es vermocht, den heimlichen Beobachter in die Flucht zu schlagen. So war es auch jetzt.
Catherine entschied, sich zurückzuziehen. Schritt für Schritt kämpfte sie gegen den Strom von Menschen an, einen Wirbel aus Plaids und Tartanmustern. Sie bahnte sich einen Weg – fort von den Wachen des Earls – zum Rand des Platzes. Ellbogen trafen sie, Füße traten auf ihre, Schultern schoben sie zur Seite. Die Luft summte und schien von zahllosen Unterhaltungen zu vibrieren. Immer wieder drangen Gesprächsfetzen an ihr Ohr, die in ihrem Geiste das Bild des jungen Earls aufblitzen ließen, wie die Menschen ihn sahen.
Als Martáinn vor vier Jahren von einem Jagdausflug nicht zurückkehrte, sandte der Earl die Clanskrieger aus, um nach seinem Sohn zu suchen. Sie kamen mit Martáinns Leichnam zurück. Von Wölfen bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt, waren seine sterblichen Überreste nur noch an den Gewändern zu erkennen gewesen. Martáinns Tod hatte den Earl und seine Frau so sehr mit Gram erfüllt, dass sie kurz darauf freiwillig aus dem Leben schieden. So war Roderick Bayne dem alten Earl – Bruce MacKay – an die Macht gefolgt. Anfangs hatte es Gerüchte gegeben, die Roderick mit dem Tod der Herrscherfamilie in Verbindung brachten, doch diese waren rasch verstummt. Catherine kannte den Grund dafür. Wie konnte es so weit kommen, Vater? War dein Wunsch nach Macht so groß?
Vor einigen Monaten dann war Martáinn plötzlich überraschend ins Glen Beag zurückgekehrt und hatte sein Recht auf das Land geltend gemacht. Roderick hatte ihn verlacht, da hatte Martáinn ihn öffentlich zum Zweikampf auf Leben und Tod gefordert – und gesiegt.
Die Menschen liebten Martáinn. Dennoch waren auch Stimmen zu vernehmen, die ihn mit seinen einundzwanzig Jahren zu jung für die Verantwortung hielten, die mit dem Titel des Earls einherging. Tavian MacKay, der erste Earl von Glen Beag, hatte einst – als vierter und jüngster Sohn des Chiefs
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