Vampyrus
Pegnitz herum, wenn er ausgeschickt war, etwas zu holen. Aber die besten Ausreden für sein Zuspätkommen nutzten ihm nichts. Der Meister nahm nur wortlos seinen Gürtel, und eine Mahlzeit gab es an diesem Tag auch nicht. Mit diesen Gedanken war Hans schneller die Treppe hinaufgestiegen.
Vorsichtig nahm er das Pergament, das zwischen anderen zum Trocknen aufgehängten Lederteilen gespannt war. Wie schön es war! So hell und fast durchsichtig strahlte es in dem Sonnenstrahl, der durch die Dachluke fiel. Sanft strich er mit den Fingerkuppen darüber. Die Oberfläche fühlte sich glatt an, die einzelnen Fasern waren kaum zu spüren. Es war sein Glanzstück. All seine Liebe und Fürsorge, sein ganzes Können und seine Behutsamkeit hatte er in dieses Stück Haut gegeben. Es war seins!
Langsam, wie in Trance, stieg er die Treppe hinunter. Sie würden es ihm abnehmen. Der Mann mit den Augen wie Eisnebel würde bezahlen und mit dem Pergament gehen. Was sollte er tun? Was konnte er tun?
Dann ging alles ganz schnell. Der Meister riss ihm das Pergament aus den Händen. „Das könnt Ihr nicht tun“, stammelte er, aber keiner der beiden Männer beachtete ihn. Der Helläugige nahm es in die Hand, strich mit prüfenden Fingern darüber.
„Was stehst du hier so rum, du dummer Bub?“ Der Meister versetzte Hans einen Stoß, der ihn rückwärts in die Werkstatt fliegen ließ. Er haute sich den Kopf an einem Gerbfass an und verstauchte sich das Handgelenk. Weinend blieb er liegen und rollte sich zusammen.
Nachdenklich ging Meister Varn nach Hause. Das kostbare Pergament trug er in Tuch gehüllt vorsichtig unter dem Arm. Vorbeikommende grüßten den angesehenen Bürger und Kinder bettelten um Groschen. Aber heute sah der Herr gar nichts, und so blickten sie schnell scheu zur Seite und machten sich davon.
Meister Varn grübelte über Hans nach. Dieser Bub hatte sich gar auffallend benommen. Es schien fast, als wolle er das Pergament nicht hergeben. Dieses sehr schön gearbeitete Stück war wertvoll, ohne Zweifel. Er hatte auch ein horrendes Sümmchen an Meister Siegert bezahlt, aber das war nicht der Grund. Der Bub hatte gelitten, als er es dem Meister aushändigen musste. Ob er etwas ahnte? Ob sein dummes Hirn gar durch das Bearbeiten der Haut etwas über diese erfahren hatte?
Meister Siegert hatte ihm erzählt, wie anstellig und fähig der junge Hans war. Dass er schnell lernte und leicht neue Fertigkeiten ausführen konnte. Selbst Tätigkeiten, die er noch nicht lange machte, übte er meist besser aus als der Geselle. Deshalb habe er auch nur ihn mit der Bearbeitung der Haut beauftragt. Pergamentherstellung sei sowieso kein Handwerk mehr, seit es Papier gab, sondern eine Kunst. Hans sei der einzig Geeignete gewesen, es in dieser Kunst auch zu Kunstfertigkeit zu bringen. Er habe ihm deshalb als Erstes eingetrichtert, wie wertvoll das Stück Haut sei, und welches Vertrauen der Auftraggeber in ihn, Meister Siegert, setze. Dann erst habe er ihm die Aufgabe, aus der Haut unter seiner Anleitung das schönste Stück Pergament, das die Stadt je gesehen hatte, zu schaffen, eröffnet. Er habe nicht vergessen, ihm klar zu machen, dass die Erschaffung eines großen Kunstwerkes alles vom Künstler fordere. Seine Hingabe und Inbrunst, seinen Lebensodem und sein Blut, ja, wenn nötig müsse er das Werk mit seinem Leben schützen. Bei dem Wort Blut zuckte Varn etwas zusammen, und was den Schutz mit dem Leben anbetraf, der Gerber sei mit seinem Lehrling wohl doch etwas zu weit gegangen. Andererseits gab ihm der Erfolg recht.
Es hatte keinen Sinn, wenn er sich weiter über Hans den Kopf zerbrach. Wahrscheinlich war er nur besonders sensibel. Dermaßen instruiert durch Meister Siegert hatte er eben wirklich seine Seele in die Erschaffung des Pergaments gelegt und nie daran gedacht, dass er es nach Fertigstellung hergeben musste. Schließlich war er noch ein Kind. Kinder litten unter solchen Vorkommnissen, aber sie kamen auch schnell darüber hinweg.
Auf sein Klopfen öffnete Adva die Haustüre. „Willkommen Meister“, begrüßte er ihn feierlich, um dann herauszuplatzen: „Hast Ihr es?“ Varn nickte und zog die Rolle unter seinem Arm hervor. „Hol Elring, dann werden wir es zusammen betrachten.“
Hans kam zu sich, weil Peter nicht aufhörte, ihn an der Schulter zu rütteln. „Hansl, mach endlich die Augen auf. Ich hab schon zwei Humpen Bier geholt. Und ich hab nur einen ganz kleinen Schluck genommen, aber er hat es trotzdem
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