Vampyrus
schlenderten Anastas und Valerius an den Regalen entlang und musterten die Buchrücken. Neben ledergebundenen Folianten mit eindrucksvollen Titeln wie „Die Zauberpflanzen Kleinasiens“ oder „Magische Rituale und ihre Anwendungen“ standen auch kleine handgeschriebene Büchlein, deren Titel kaum zu entziffern waren. Anastas stieß Valerius an und zeigte auf ein Buch. „Vampyre – Mythos oder Wahrheit?“ lautete sein Titel.
„Lass das. Du weißt, welches Buch wir suchen“, knurrte Valerius und Anastas verdrehte die Augen. „Das wird hier sicher nicht so einfach im Regal stehen, oder?“ Valerius nickte und trat an den schmalen Tresen heran, hinter dem der Buchhändler freundlich lächelnd stand. „Wir suchen ein Buch!“, sagte er mit finsterem Unterton in der Stimme und blickte den Buchhändler durchdringend an.
„Wie praktisch, dass dies eine Buchhandlung ist!“, antwortete der Buchhändler und grinste breit.
„Keine Witze, Alterchen!“, zischte Anastas und entblößte dabei ihre Vampirzähne. „Mein Freund hier …“, sie deutete auf Valerius, „kann ziemlich energisch werden.“
Der Händler neigte den Kopf und sagte „Verzeiht, Euer Gnaden, ich hatte nicht erkannt, mit wem ich es zu tun habe. Womit kann ich Euch dienen?“
„Man sagte uns, Ihr seid im Besitz eines ganz speziellen Buchs, einem Grimoire, sehr alt und sehr wertvoll.“
„Nun, alt und wertvoll sind die meisten Bücher hier. Habt Ihr denn einen Titel, Euer Gnaden?“
„Du weißt ganz genau, welches Buch wir meinen!“, grollte Valerius und zog den Buchhändler am Kragen hoch, sodass seine Füße etwa zwanzig Zentimeter über dem Boden hingen. „Das Potencia Vampyri! Wo ist es, Alter? Besser du rückst es heraus, bevor das hier hässlich wird, sehr hässlich!“
Der Buchhändler zappelte herum. „Lasst mich los, dann kann ich Euch Auskunft geben!“ Valerius ließ ihn los und der Mann plumpste zu Boden. Er rappelte sich auf und griff nach einem dicken Journal, das in einem Fach unter dem Tresen lag, wuchtete es auf den Tresen und begann darin zu blättern.
„Potencia, Potencia …“, murmelte er, während er mit dem Finger die Zeilen mit den handschriftlichen Einträgen entlangfuhr. „Ah, da haben wir es ja!“, rief er zufrieden und tippte mit dem Finger auf einen Eintrag. „Potencia Vampyri, angekauft am 24. September 1995 für sechsundfünfzig Schilling, Ledereinband mit Goldverzierung, gut erhalten, Sprache teilweise Deutsch und Latein, vermutlich Zauberbuch, Anfang bis Mitte 17. Jahrhundert!“ Stolz blickte er die beiden Vampire an.
„Und? Wo ist es jetzt?“ fragte Anastas.
„Ja, genau …“, murmelte der Buchhändler und beugte sich wieder über sein Journal. „Oh! Oje!“
„Nun sag schon!“, knurrte Valerius ungeduldig.
„Ich fürchte, ich habe das Buch nicht mehr!“
„Ihr habt …?“ Anastas verschlug es fast die Stimme. „Wo ist es, wem habt ihr es verkauft?“ Valerius stieß ein tiefes Knurren aus. „Du hast doch sicher seinen Namen, verflucht!“
„Euer Gnaden, normalerweise notieren wir die Namen unserer Käufer nicht …“
Valerius packte den Alten an der Jacke und fletschte seine spitzen Zähne. „Willst du die hier näher kennenlernen?“, zischte er. Der Buchhändler schüttelte den Kopf und blätterte mit zitternden Händen weiter in seinem Journal. Valerius ließ ihn los und warf Anastas einen kurzen Blick zu.
„Wartet, Euer Gnaden, hier ist etwas …“, stammelte der Buchhändler und las wieder vor: „Potencia Vampyri, verkauft am 16. Juni dieses Jahres für vierzig Euro …“
„Den Namen, Alter, den Namen!“ Anastas Stimme war eiskalt. Mit dem Zeigefinger fuhr der Buchhändler die Zeile entlang. „Hier, hier ist er: Es ist ein gewisser Kennis Neuer, aus Nürnberg, Euer Gnaden …“
Der Mann im langen Mantel und dem hochgestellten Kragen beobachtete, wie die beiden Vampire den Buchladen verließen. Er blickte ihnen nach, wie sie eilig in der Dämmerung in den Gassen Wiens verschwanden. Dann zog er ein Handy aus der Tasche und tippte eine SMS ein. Ein Piepton verkündete kurz darauf die Antwort. Der Mann setzte sich in Bewegung, ohne die Nachricht anzusehen. Er kannte ihren Inhalt bereits. Lächelnd betrat er den Buchladen. Meister Varn würde zufrieden sein.
Gerhard Schmeußer
Henks Auftrag
D er Korken, den Henk in den alten Küchenofen geworfen hatte, wollte nicht Feuer fangen. Stattdessen kokelte er vor sich hin und schickte Rauchschwaden durch das
Weitere Kostenlose Bücher