Vampyrus
erlösen.“
„Nein“, schrie Hans auf. „Das dürft Ihr nicht. Ihr braucht mich.“
„Dich brauchen? Keiner braucht dich und keiner wird dich vermissen.“ Hans spürte, wie die Haut ihn rief, und seine Gedanken waren jetzt ganz klar. Varn hatte recht, keiner würde ihn vermissen. Sein erbärmliches Leben war noch erbärmlicher geworden, seit er es mit der Haut teilte. Er musste Varn überzeugen, dass er um der Haut willen am Leben bleiben musste.
Er sah sich selbst, wie er die Haut nach dem Trocknen zum letzten Mal mit einem halbmondförmigen Messer glättete, um dem Stück auf der ganzen Fläche eine gleichmäßige Dicke zu geben. Sein Meister war hinzugekommen und hatte ihm erklärt, das Werkzeug würde Lunellum genannt von den Mönchen. Dann erklärte er ihm, dass die Oberfläche des Pergaments zum Beschreiben auch noch präpariert werden müsse, was die Mönche aber selbst machten, da jeder sein eigenes Rezept habe. Auf Hans’ neugierige Fragen erzählte er, ein Mönch habe ihm anvertraut, statt des gängigen Pergamentleims, einen Leim aus der getrockneten Schwimmblase des Störs zu verwenden. Andere rauten es mit Bimsstein auf und rieben Kreide ein, und manche schworen auf Harze vom Kirsch-oder Pflaumenbaum oder bestrichen es mit einer dünnen Eiweißlösung. Ein für besondere Zwecke vorgesehenes Pergament konnte man auch einfärben mit Safran, Grünspan oder Indigo.
Dann kam es darauf an, die für das Bindemittel oder die Farbe geeignete Tinte zu benutzen, denn nicht alle Substanzen vertrugen sich. Das war es! Natürlich, warum hatte er nur nicht früher daran gedacht?
Hans richtete sich auf und sah Varn furchtlos in die Eisaugen. „Doch Meister Varn, Ihr braucht mich. Wer sonst könnte Euch das Pergament mit dem richtigen Bindemittel zum Beschreiben vorbereiten, damit genau die Substanz, mit der Ihr darauf schreiben werdet, das vollbringt, was Ihr begehrt?“
Nachdenklich sah Varn ihn an. Er sah das Blitzen in Hans grünen Augen, die seinem Blick jetzt standhielten. Er sah weder Lüge noch Heimtücke, nur den Herzenswunsch in der Nähe der Haut bleiben zu dürfen.
„Schwörst du, der Haut und mir zu dienen und die Haut mit deinem Leben zu schützen?“
„Ja“, rief Hans. „Ich schwöre für die Haut mein Leben zu geben, wenn ich nur bei ihr bleiben darf. Ich werde ihr dienen, und Euch natürlich auch!“
„Dann soll es so sein“, entschied Meister Varn. „Adva, geh zu Meister Siegert. Teile ihm mit, dass der Bub ab jetzt in meinen Diensten steht und gib ihm eine großzügige Ablöse.“
Nachdem Adva gegangen war, erhob sich Varn. „Komm Hans“, er legte ihm schwer eine Hand auf die Schulter und führte ihn aus dem Zimmer. „Ich werde dich jetzt zur Haut bringen und dich in ihre Geheimnisse einweihen.“ Sie stiegen in den Keller des Hauses und von dort hinab in die kalten Felsengewölbe unter dem Burgberg.
Peter Hellinger
Bram Stokers Tagebuch
6. Mai 1897, Bistritz
Stieg im Hotel Goldene Krone ab, wie empfohlen. Auch eine Nachricht erwartete mich bereits, als ich eintraf:
„ Willkommen in den Karpaten! Erwarte Sie bereits ungeduldig. Habe einen Platz für Sie auf der Linienkutsche nach Bukovina reserviert. Abfahrt ist morgen um drei Uhr vor dem Hotel. In Bukovina wartet mein Diener, um Sie in mein Schloss zu bringen. Ich hoffe, Sie genießen Ihren Aufenthalt in meinem schönen Land. Ihr Freund, Mircea “
Nach dem Nachtmahl, diesmal ein würziger Eintopf mit Rindfleisch, der zusammen mit Brot und einem Palinka genannten Obstbrand gereicht wurde – und der für meinen Geschmack viel zu viel Knoblauch enthielt, mischte ich mich unter die in der Gaststube des Hotels anwesenden Gäste, offenbar alles Neugierige aus der Stadt. Dass ich ein Schriftsteller aus dem fernen London sei, hatte sich wohl herumgesprochen, ebenso waren zu meinem Erstaunen alle über meinen weiteren Reiseweg informiert.
Als ich auf mein Zimmer gehen wollte, nahm mich einer der Gäste zur Seite. Seine eisgrauen Augen kamen mir bekannt vor. „Hüten Sie sich vor den Draculeas, hüten Sie sich!“ zischte er, starrte mich noch einen Augenblick an und ließ dann meinen Arm los. Ehe ich etwas erwidern konnte, verschwand er in der Nacht.
Doreen Kühne & Peter Hellinger
Der Buchhändler
D er hochgewachsene Mann mit dem Kapuzen-Sweatshirt und der schwarzen Lederhose blickte den Passanten, der ihn gerade angerempelt hatte, durchdringend an. Bevor der auch nur ein Wort sagen konnte, zog Valerius die rechte
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