Vampyrus
Augenbraue hoch. Der Mann schüttelte den Kopf und verschwand im abendlichen Gedränge der Wiener Innenstadt. Valerius öffnete die Tür des Café Alt Wien in der Bäckerstraße und schob sich durch das Gedränge in den hinteren Teil des Lokals. An einem Tisch erwartete ihn eine Frau mit langen schwarzen Haaren, blassem Teint und dunklen, feurigen Augen. Sie trug eine abgewetzte Motorradjacke, eine weiße Bluse und modisch über dem Knie zerrissene Jeans. Valerius setzte sich und lächelte kurz.
„Sag schon, was hast du herausgefunden?“, fragte Anastas ungeduldig und schob die Tasse Kaffee von sich.
„Wir müssen warten“, Valerius zuckte mit den Schultern. „Mein Informant ist sich sicher, dass er die nächsten Tage auftauchen wird. Wir müssen einfach nur bereit sein.“
Anastas nickte und blickte sich wehmütig um. Wie oft waren sie schon in Wien gewesen? Sie hatte aufgehört mitzuzählen. Seit mehr als dreihundert Jahren jagten sie nun hinter dem Buch her. So vieles hatte sich verändert und war doch gleich geblieben. Kriege hatten das Land überzogen, gute Gelegenheiten, sich an frischem Blut satt zu trinken. Doch seit mehr als sechzig Jahren herrschte Friede. Heutzutage fiel es auf, wenn jemand mit den typischen Bisswunden gefunden wurde. Natürlich schob die Polizei das immer auf den gerade grassierenden Vampirkult. In allen Buchhandlungen fand man Romane, bebildert mit zähnefletschenden Vampiren, die irgendwie Valerius und Anastas gar nicht so unähnlich sahen und doch Meilen von der Wahrheit entfernt waren. Seit Mircea, der Bruder ihres Herrn, diesem englischen Schriftsteller die Geschichte von Vlad Tepeş erzählt hatte, hatte sich die Legende wie ein Lauffeuer verbreitet. Nur gut, dass sie hinzugekommen waren, als Mircea gerade diesem Stoker vom geheimen Grimoire erzählen wollte. Nicht auszudenken, wenn auch die Menschen hinter der Macht des Buches herjagen würden!
„So grüblerisch?“, fragte Valerius und Anastas nickte wieder.
„Weißt du, manchmal frage ich mich, was wir tun, wenn wir das Buch wieder haben. So schlecht scheint mir die Welt nicht zu sein. Die Magier verhalten sich unauffällig und die Menschen lieben uns Vampire. Warum also etwas ändern?“
„Ja, sie lieben uns, weil sie glauben, dass wir in der Sonne glitzern oder uns von Kaninchenblut ernähren. Romantischer Kitsch für Spätpubertierende!“, knurrte Valerius. „Aus Schloss Bran haben sie eine Touristenattraktion und aus uns Witzfiguren in Kinofilmen gemacht. Nein, sag nichts, Anastas!“, unterbrach er seine Gefährtin, die gerade etwas entgegnen wollte. „Ich kann und will mich nicht damit abfinden! Wenn erst das Buch wieder in unserem Besitz ist, wird das Geschlecht der Draculea seinen rechtmäßigen Platz in der Geschichte einnehmen, darauf kannst du dich verlassen.“
Anastas seufzte innerlich. Die vielen Jahre hatten Valerius verbittern lassen. Dabei bot das heutige Dasein gerade als Vampir doch ungeahnte Möglichkeiten. Natürlich musste man aufpassen: die Menschen wussten inzwischen viel über Vampire und die Magier ließen nichts unversucht, wenn sie einen aufspürten. Aber ansonsten ließ es sich doch ganz bequem leben in dieser Welt aus Technik und Mythos. Sie lächelte, als Valerius’ Handy klingelte. Auch ihr Gefährte wusste die Segnungen der modernen Welt zu schätzen – solange es ihm von Nutzen war.
„Los gehts!“, sagte Valerius und steckte das Telefon weg. „Der Buchhändler ist da.“ Er stand auf, warf einen Geldschein auf den Tisch und verließ mit Anastas im Gefolge das Café.
Wenige Minuten später folgten sie im Strom der Touristen der Rotenturmstraße und wandten sich an den Kammerspielen rechts zum Fleischmarkt. Zwei Gassen weiter standen sie vor einem kleinen, in die Ecke eines alten Hauses gedrückten Buchladen, dessen Ladenschild mit goldenen Lettern „Erster Wiener Buchladen“ verkündete. Das einzige Auslagefenster war fleckig von Regentropfen und an den Fensterecken hatte sich grauer Schmutz gesammelt. Warmes Licht drang aus dem Fenster auf die Straße. Als Anastas die beinahe magische Aura des Ladens spürte, schauderte sie kurz. Valerius drückte die Klinke herunter und beide traten ein.
„Kommens rein, die Herrschaften!“, rief ein alter Mann aus dem hinteren Teil des Ladens. „Schauen Sie sich nur in Ruhe um!“ Zu beiden Seiten des schmalen Mittelganges standen alte, dunkelbraune Holzregale, die vom Boden bis zur Decke voller Bücher waren. Vorsichtig
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