Vampyrus
finstere Schmuddeligkeit und der Qualm unzähliger Zigaretten hatten die Luft und alle Gegenstände für ewige Zeit imprägniert. An der Wand hinter Henk flimmerte unbeachtet ein Fußballspiel über einen Großbildschirm, dessen Ton abgedreht war. Das Bier vor ihm auf dem fleckigen Tresen rührte Henk nicht an. Er wartete auf Jan. Jan war bekannt dafür, alles beschaffen zu können. Henk wusste, dass er viel zu früh dran war, aber er hatte es alleine nicht mehr ausgehalten. Eigentlich sollte er aussteigen, sagte er sich, seine Nerven machten nicht mehr mit. Dieser Auftrag würde der Letzte sein, nahm er sich vor. Alle Minute sah er auf seine Armbanduhr. Noch bis zur vollen Stunde würde er warten. Dann konnte ihm Jan gestohlen bleiben. Ein Geräusch an der Eingangstüre. Es war Jan. Henk rutschte vom Barhocker und deutete auf einen der Tische in einer der dunkleren Ecken.
Jans Alter war undefinierbar. Wenn Henk ihn sah, musste er immer an einen Fußballspieler denken. Nicht dass er wusste, ob Jan Fußball spielte. Er sah nur so aus. Drahtig, mittelgroß, schnell. Heute wurde der Eindruck noch verstärkt durch die Sporttasche, die er dabei hatte. Das schwarze Kapuzensweatshirt, das er trug, passte perfekt dazu und sah außerdem aus, als wäre es sein einziges Kleidungsstück. Jan gab dem Wirt, der sich im Hintergrund gehalten hatte, einen Wink. Der machte sich sogleich an der Cappuccino Maschine zu schaffen. Jan war bekannt.
„Und?“ Jan bückte sich und kam mit einem öligen Tuch wieder hoch, in dem ein Gegenstand eingewickelt war. Er schlug das Tuch kurz auf und erlaubte einen Blick auf die klobige graue Pistole, die darin eingewickelt war.
„Eine P225, neun Millimeter. Sehr gut in der Handhabung. Du kannst damit umgehen?“
„Ich denke schon.“
„Der Sicherungshebel ist hier außen. Wenn du entsicherst, kannst du sofort schießen.“
„Gut. Geladen?“
„Sechs Schuss. Mehr bekommst du nicht. Tausend Eier und das Ding gehört Dir.“
Henk wusste, dass er sich schnell für oder gegen den Kauf entscheiden musste. Das Gefühl, sich gerade auf einen ganz großen Mist eingelassen zu haben, stieg in ihm auf und verursachte ein Gefühl der Übelkeit. Er kramte das Kuvert mit seinem Vorschuss aus seiner Jackentasche. Das Knistern der Geldscheine ließ ein Lächeln auf Jans Gesicht erscheinen.
Henk zählte ihm das Geld hin. Ohne ein weiteres Wort stand Jan auf, ging an den Tresen, kippte seinen Kaffee hinunter und verließ ohne zu bezahlen das Lokal.
Der Boulevard war windig, kalt und hart. Henk drückte sich seit Stunden im Eingang der Ladenpassage gegenüber des Blue Lagoon herum. Das Warten konnte einen in den Wahnsinn treiben. Die wenigen Nachtschwärmer, die um diese Zeit noch unterwegs waren, machten einen Bogen um ihn. Es war ihm aber recht, dass er den Eindruck eines Obdachlosen machte, der in der windgeschützten Passage Zuflucht vor dem rauen Westwind gesucht hatte. Mit seinem braunen alten Mantel und den Stiefeln erinnerte er sich selbst an die Gestalt auf einem Plattencover von Jethro Tull, das er vor unzähligen Jahren einmal besessen hatte.
Henk ließ sich vor dem beleuchteten Schaufenster eines Buchgeschäfts nieder. Links von ihm gähnte die Einkaufspassage. Rechts lagen ein paar Meter nackter Boulevard. Dahinter lockte das Blue Lagoon mit seinen Lichtern und Musik, die leise herüberwehte. Der Wind trug eine Zeile herüber: ‚I’m gonna marry the night‘ sang eine Sängerin. Die Pistole in seinem Mantel drückte und er hoffte, dass niemand ihre Konturen bemerken würde. Hin und wieder kamen Leute aus dem Klub. Pärchen oder Cliquen, die lautstark zusammen heimgingen. Henk wusste nicht, ob Valerius in der Bar war. Er hatte nur keinen anderen Hinweis. Ab und zu döste er ein und schrak wieder hoch. Er musste wach bleiben und trotzdem die Zeit nutzen, sich zu entspannen.
Henk war schlagartig wach. Valerius war aus der Bar getreten. Er war alleine, verweilte aber trotzdem kurz vor dem Eingang, als wüsste er noch nicht, in welche Richtung er sich wenden sollte. Wie auf dem Foto trug er einen langen schwarzen Ledermantel und Stiefel. Henk beobachtete ihn aus den Augenwinkeln und tat so, als bemerkte er ihn nicht. Dann entfernte sich Valerius nach links. Henk rappelte sich auf und trat auf den Boulevard. Valerius hatte ungefähr hundert Meter Vorsprung. Sein weiter schwarzer Ledermantel blähte sich beim Gehen hinter ihm. Henk fluchte. Der Kerl lief viel zu schnell, dass er ihm unauffällig
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