Vampyrus
Jahrhundertanlass angemessen waren. Nur Varn hatte seine Kapuze zurückgeschlagen, sodass halblange graue Haare und die fast milchig wirkenden Augen einen harten Kontrast zu seiner Robe bildeten. „Es hat begonnen“, sprach Varn feierlich. „Die Vampire haben ihre Unterschlüpfe verlassen, um den Träger des Grimoire zu jagen. Dadurch haben sie auch uns verraten, wer es ist.“ Er hob theatralisch die Arme und erntete das beifällige Gemurmel seiner Anhänger.
„Elring, bitte reiche mir unser letztes Stück Vampyrus!“ Der Angesprochene hielt ein reichhaltig verziertes Holzkästchen in den Händen, das von einem kunstvoll beschlagenen Schloss dominiert wurde. Varn hob das Halskettchen mit dem vergoldeten Schlüssel über seinen Kopf, steckte ihn in das Schloss und drehte ihn sanft. Nichts geschah! Er drehte fester, hatte jedoch Angst, den Schlüssel am Widerstand zu brechen. Die Magier sahen sich ratlos die Köpfe schüttelnd an. Doch Adva zog mit den Worten: „Ein Tropfen Öl wirkt manchmal Wunder“, ein Ölkännchen aus seiner Robe. Nun sprang das Schloss auf, Varn entnahm dem Kästchen das letzte kleine Stück Vampyrus und hielt es hoch, damit alle es sehen konnten. „Jetzt sagt mir liebe Brüder, wessen Blut wir benötigen, um seinen Namen auf dieses Vampyrus schreiben zu können und ihn zu unserem Werkzeug zu machen.“
In diesem Augenblick schmetterte Gloria Gaynor los: „ I Will Survive! “ Elring wedelte aufgeregt mit seinem Smartphone. „Ich habe die SMS bekommen. Es ist Kennis Neuer, und er ist auf der Flucht vor den Vampiren.“
Kennis fand sich auf allen Vieren zwischen den Tulpen vor dem Schlafzimmerfenster. Britta kam gerade herausgesprungen und rempelte ihn, als er sich aufrichtete. „Nichts wie weg“, sie zerrte ihn hinter sich her. Kennis fluchte, als er über den niedrigen Gartenzaun setzte und barfuß auf einen kantigen Stein trat. Sie rannten den schmalen Weg zwischen den Gärten Richtung Straße. Zwei blendende Lichtkegel kamen ihnen entgegen und Kennis duckte sich instinktiv hinter einen Busch. Britta jedoch lief auf die Lichter zu und winkte ihm zu folgen. Sie riss die Hintertür des Wagens auf und warf ihn fast hinein, bevor sie hinterher sprang. Der Motor heulte auf, Reifen quietschten und der Jaguar schoss vorwärts.
„Gute Güte“, keuchte Britta, als sie von der Beschleunigung in die Sitze gedrückt wurden. „Musst du jetzt einen auf Schumi machen?“ „Och Britta, maul nicht ’rum! Ich werde mir doch nicht diese einmalige Gelegenheit entgehen lassen, so einen Schlitten auszutesten“, tönte eine helle Jungenstimme von vorne, während der Wagen sich in eine Rechtskurve legte und Kennis gegen Britta geschleudert wurde. Obwohl er mit nahezu 90 Stundenkilometern durch die Dreißigerzone raste, drehte der Fahrer sich kurz um und grinste fröhlich: „Ich bin Darius. Welcome on Board, Kennis.“
Beim Licht der Straßenlaternen sah Kennis Darius’ Antlitz wie im Flackern einer Discolichtorgel abgehackt in schneller Folge hell und dunkel. Darius war ein junger Mann, vielleicht Anfang zwanzig, mit ausnehmend ebenmäßigen Gesichtszügen, denen noch die Reste der Weichheit der Jugend anhingen. Dunkle Augen musterten ihn neugierig und abschätzend. Sein kurzes, im zuckenden Licht fast blauschwarzes Haar war über der Stirn mit Gel nach oben gestylt.
„Schau bloß nach vorne“, rügte Britta. „Wir sind Graf Igostris Schlächterbande nicht entkommen, um uns jetzt zu überschlagen.“
„Graf Igostri? Schlächterbande?“ Kennis wandte sich zu Britta. „Ich glaube, eine Erklärung würde mir gut tun. Oder träume ich doch noch?“
„Nein, kein Traum, ich werde dir später alles erzählen, Liebling“, Britta drückte beschwichtigend seine Hand. „Im Augenblick muss ich mich darauf konzentrieren, dass Igostri uns nicht aufspürt.“ Britta schloss die Augen und schmiegte ihren Kopf bequem in die beigen Lederpolster.
„Was heißt hier später, Britta? Du reißt mich aus dem Bett, setzt mich in ein rasendes Auto und dann sagst du, das erklärst du später“, Kennis rüttelte ihren Arm, aber sie reagierte nicht. „Ich verstehe jedenfalls kein Wort. Darius, kannst du mir erklären, wer Graf Igostri ist?“ Er zog den Namen beim Sprechen in die Länge. Darius schnitt gekonnt eine S-Kurve, um dann auf der zweispurigen Ausfahrtsstraße zu beschleunigen. Kennis ertappte sich dabei, wie er die Nackenstütze des Beifahrersitzes umklammerte. „So wie du fährst, reicht die
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