Vanhelsing 01 - Schreckensgalerie
dran war.
"Dieses Buch scheint noch immer deine Gedanken zu beeinflussen", sagte Tom lächelnd. "Selbst jetzt, da das einzige bekannte Exemplar zu Staub zerfallen ist. Du selbst warst dabei..."
"Es wird weitere geben!" flüsterte ich. "Und dieser Rat der Sechs..." Mir schauderte bei dem Gedanken. Ein scheinbar unbegründetes Gefühl des Unbehagens machte sich in meiner Magengegend breit. Jetzt nicht! durchfuhr es mich. Ich wollte nichts weiter, als einen schönen Abend bei Kerzenlicht, ohne einen Gedanken daran, ob irgendwo, an einem verborgenen Ort, geheimnisvolle Wesen schlummerten, die angeblich in der Lage waren, die Geschicke der Welt zu lenken. Aber ich konnte einfach nicht anders, als immer wieder daran zu denken.
Ich atmete tief durch.
Ein dumpfes Druckgefühl meldete sich für Augenblicke hinter meinen Schläfen. Es wurde zu einem unangenehmen Pochen und verschwand dann.
Eine übersinnliche Kraft...
Mein Para-Sinn zeigte mir derartige mentale Energien auf diese Weise an.
Nach einem Augenaufschlag war es bereits wieder vorbei.
Was war das?
Tom parkte den Volvo in einer Nebenstraße. Er öffnete mir die Tür und hielt seinen Schirm über mich. Eine nette Geste, auch wenn sie mich vor der Nässe des Nieselregens kaum schützen konnte. Die Luft schien mehr oder weniger von Feuchtigkeit gesättigt zu sein. Das berüchtigte Londoner Wetter eben...
Arm in Arm gingen wir die Seitenstraße entlang. Hier und da brannte eine Neonreklame. Die feuchte Kühle drang durch meine Kleider. Ich fröstelte etwas und drängte mich nahe an Tom heran.
Schließlich erreichten wir das Manzoni.
Tom war als Reporter auf der Eröffnungsfeier dieses In-Lokals gewesen. Das Ergebnis war eine Zehn-Zeilen-Lobeshymne in den LONDON EXPRESS NEWS gewesen, jenem großen englischen Boulevardblatt, bei dem wir beide unser Geld verdienten.
Innen herrschte gedämpftes Licht.
Die Einrichtung war traditionell und wirkte rustikal. Der Innenraum war in Holz gehalten. Die kunstvollen Kronleuchter, die von der Decke hingen, verbreiteten ein mondänes Flair. Im Hintergrund lief rauschend und kratzend eine uralte Caruso-Platte.
Ich sah Tom an.
"Sehr romantisch", sagte ich.
"Ist das nicht genau das, wonach wir uns im Moment beide sehnen?"
"Natürlich..."
Er nahm mir den Mantel ab und hängte ihn auf. Ein Kellner brachte uns zum Tisch. Tom hatte ihn reservieren lassen.
Kerzen wurden entzündet. Ihr weiches Licht ließ Toms markante, von dunklem Haar umrahmte Züge etwas weicher erscheinen als sonst.
Seine Hand legte sich auf die meine.
"Ich liebe dich, Patti", sagte er. Das Timbre seiner Stimme vibrierte. Ein wohliger Schauder überlief mich dabei.
"Ich dich auch", flüsterte ich.
Mein Hals war trocken. Ich war kaum in der Lage, etwas zu sagen und versuchte zu schlucken. Unsere Liebe war im Laufe der Zeit noch tiefer geworden.
Toms meergrüne Augen musterten mich. Ich brauchte nichts zu sagen. Er wußte, was in mir vorging.
Der Kellner kam und schenkte den Wein ein. Wir hoben die Gläser, ließen sie mit einem kurzen Klirren aneinanderstoßen und ich fragte: "Worauf sollen wir trinken?"
"Auf die Zukunft?"
"Auf unsere Zukunft!"
Ich nippte an dem Glas, nahm einen Schluck des süßen Lambrusco und stellte das Glas wieder hin.
"Gehen wir nachher noch zu dir?" fragte ich.
"Gerne. Wenn deine Großtante dich nicht allzu sehr vermißt..."
"Das glaube ich kaum. Sie hat Besuch. Es ist Professor St. John..."
"Er ist in letzter Zeit ziemlich oft in der Vanhelsing-Villa", stellte Tom Hamilton fest und lehnte sich etwas zurück.
Ich mußte unwillkürlich lächeln. "Nicht mehr lange und Tante Lizzy hat aus einem nüchternen Naturwissenschaftler einen kräutergläubigen New Ageer gemacht!" Ich machte eine kurze Pause, senkte den Blick und sah einige Sekunden lang in das dunkle Rot des Lambruscos in meinem Glas. "St. John ist Witwer. Seine Frau starb vor Jahren durch einen mysteriösen Verkehrsunfall... Das heißt, der Unfall selbst war nicht sonderlich mysteriös, nur die Umstände!"
"Welche Umstände?"
"Eine Geisterseherin auf dem Jahrmarkt in Southgate sagte ihr den nahen Tod voraus. Mrs. St. John nahm das natürlich nicht ernst. Als sie und ihr Mann wenig später an einem Spiegelkabinett vorbeikamen, sahen sie beide dort für Sekunden das Unfallgeschehen voraus..." Ich zuckte die Achseln. "Jedenfalls versteht Tante Lizzy sich sehr gut mit Professor St. John..."
Unsere Blicke begegneten sich und verschmolzen förmlich
Weitere Kostenlose Bücher