Varus - Historischer Roman
römisch-germanischen Auseinandersetzungen kurz nach der Zeitenwende angesehen. Nichtsdestotrotz suchten seit dem 19. Jahrhundert nicht nur zahllose Heimatforscher und Freizeitarchäologen den »klassische(n) Morast, / Wo Varus steckengeblieben« (H. Heine). Obwohl die Befunde der Ausgrabungen bei Kalkriese im Osnabrücker Land den dort aufgefundenen Kampfplatz in einen plausiblen Zusammenhang mit der Varusschlacht bringen, ist die Diskussion über die Lokalisierung des Ereignisses noch längst nicht abgeschlossen.
Gesichert ist, dass im Verlauf dieser Schlacht drei Legionen, drei Alen und sechs Cohorten zugrunde bzw. verloren gingen, dazu der gesamte Tross, Reit-, Trag- und Zugtiere. Zwischen 15 000 und 20 000 Soldaten sowie mehrere Tausend Knechte, Sklaven und Familienangehörige der Soldaten, die laut Quellenlage im Heereszug mitgingen, wurden Opfer dieser Schlacht - als Gefallene, Gefangene oder
Flüchtlinge. Ebenso bezeugen die alten Texte immer wieder das unwegsame Gelände, das schlechte Wetter und vor allem die außergewöhnliche Grausamkeit der Angreifer.
Militärhistoriker begründen diese außergewöhnliche Grausamkeit häufig als taktische Notwendigkeit und zumindest mittelfristig wirksame strategische Finte: Sie habe dazu gedient, den besiegten Gegner nachhaltig zu schwächen und von einem baldigen Versuch der Rückeroberung abzuschrecken.
Ein Roman, der sich dieses Ereignis zum Thema macht, kann sich entweder in die lange Reihe der heroischen Geschichtsdeutung einordnen, die Arminius zum Volkshelden und Führer eines gerecht erscheinenden Widerstandskampfes macht - oder sich der Opfer annehmen, den wenigen überlieferten Namen ein Gesicht und eine Stimme geben. Eine Rekonstruktion des Ereignisses ist nahezu unmöglich, es kann sich also nur um eine Annäherung handeln.
Die genaue Lokalisierung war kein Thema, das mich bewegte. Vielmehr erregte eine wesentlich grundlegendere Frage mein Interesse: Wie konnte das passieren? Wie konnte ein politisch und strategisch versierter Statthalter, der sich im unruhigen Osten des römischen Reiches bewährt hatte, in eine solche Falle tappen? War es blindes Vertrauen gepaart mit Dummheit und Arroganz, wie zumindest eine der Quellen nahelegt?
Unser Bild des Publius Quinctilius Varus ist weitgehend geprägt von einer einzigen Quelle, der Römischen Geschichte des Velleius Paterculus aus der Regierungszeit Kaiser Tiberius’. Velleius schildert Varus als träge, habgierig und arrogant, ja als inkompetent, ein Vorwurf, der überrascht, wenn man bedenkt, dass eine andere Quelle, der jüdische Historiker Flavius Josephus, denselben Mann als Statthalter von
Syrien bei aller Härte als kompetent sowie diplomatisch und strategisch versiert zeigt.
Unser negatives Bild verdanken wir höchstwahrscheinlich der Parteinahme des Velleius in die Hofintrigen zwischen Tiberius und den Erben seines Bruders, des früh verstorbenen Germanicus. Zum engeren Kreis der ehrgeizigen Witwe des Germanicus, der älteren Agrippina, gehörten auch Varus’ Witwe und ihr Sohn, die schließlich unter fadenscheinigen Vorwänden in die Verbannung geschickt wurden, um Agrippina zu isolieren.
Die Verherrlichung des Arminius wurde häufig mit dem Argument betrieben, man habe ja nur die »Siegergeschichtsschreibung« der Römer als Quellen - dabei waren es diese Quellen, allen voran die Annalen des Tacitus, die eben dieser Verherrlichung des Arminius den Boden bereiteten wie Velleius’ Werk der Verunglimpfung des Varus. Insofern erschien es nicht abwegig, bei der Charakterisierung durch Flavius Josephus zu beginnen, die Varus als streng, aber überlegt agierenden Statthalter von Syrien beschreibt, der während der Wirren um die Herrschaft im Nahen Osten Unruhen unterbinden muss und dabei sowohl mit einer heillos zerstrittenen Herrscherdynastie als auch mit habgierigen Landsleuten zu tun hatte. Diese Charakterisierung macht weitaus mehr Sinn, denn immerhin erteilte Augustus Varus zum zweiten Mal den schwierigen Auftrag, in einer unruhigen Provinz am Rande des Imperium Romanum für geordnete, friedliche Verhältnisse zu sorgen.
Was Varus in Syrien gegen den Widerstand einer heillos zerstrittenen Herrscherfamilie und korrupter römischer Provinzialbeamter gelang, prädestinierte ihn geradezu für die entsprechende Aufgabe in der Germania. Doch eine akribisch vorbereitete militärische Operation, die mit den Mitteln
des zermürbenden Buschkriegs arbeitete, vereitelte dieses Ansinnen.
Man mag es mit
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