Varus - Historischer Roman
dass du wider Erwarten doch einen geringeren Wurf haben solltest als ich.«
»Der Sold der letzten vier Monate«, entgegnete Annius schroff. Ein lächerlicher Betrag, verglichen mit dem, was Fufidius an solcher Ware verdiente, wenn er sie unbeschadet
ins Herz des Imperiums schaffte und anschließend aufpäppelte, um sie ausgewählten Kunden feilzubieten.
Nach kurzem Stutzen lachte Fufidius. »Ich bin einverstanden.«
Ein aufmunterndes Nicken veranlasste Annius, den Becher anzuheben. Ringsum forderten Männer zischend Ruhe ein. Auf dem Tisch lagen die Würfel, zwar nicht alle auf verschiedenen Seiten, aber es war nur eine Eins dabei. Die Zuschauer murrten leise.
»Elf.« Fufidius wiegte den Kopf angesichts dieses dürftigen Ergebnisses. »Mein Angebot steht, junger Freund. Wenn du das Fohlen -«
»Schweig und mach deinen Wurf!« Annius presste die schwitzigen Hände auf die Oberschenkel. Was war ihm nur eingefallen, sich auf diesen Blödsinn einzulassen? Er hatte auf Fortuna vertraut, die ihm jedoch nur einen arg bescheidenen Wurf gegönnt hatte.
Die Stimmen im Schankraum waren verstummt, rau scharrten Sohlen und Holz über den harten Lehmboden, während viele Gäste sich um den Tisch der Spieler drängten. Annius spürte ihren Atem im Nacken, kratzte sich am Haaransatz. Was, beim Hercules, tat er hier?
Mit hochgezogenen Brauen schob Fufidius die Knöchel in den Becher, schüttelte ihn zwischen beiden Händen, bevor er ihn auf den Tisch stieß. »Du bist dir sicher?«
Reglos starrte Annius den grinsenden Sklavenhändler an, während dieser langsam den ledernen Becher hob und die Knöchelchen freilegte. Die Umstehenden beugten sich tief über den Tisch, um einen Blick auf das Ergebnis zu erhaschen; einer hielt einen brennenden Span so ungeschickt, dass ein anderer sich daran verbrannte und fluchend zurückzuckte. Hastig prüfte Annius den Wurf. Neun. Lautlos ließ er
den Atem zwischen den Zähnen entweichen. Noch immer den Becher in den Händen haltend, gaffte der Sklavenhändler mit offenem Mund vor sich auf den Tisch. Gelächter erhob sich, einzelne Männer klopften ihm auf die Schultern. Erst jetzt ging Annius auf, dass er keinen Platz hatte, um das Mädchen unterzubringen. Der Zutritt ins Lager war Frauen verboten; nur für die Gemahlinnen hoher Offiziere wurden gelegentlich Ausnahmen gemacht, doch auch das nur in den großen Legionslagern von Mogontiacum, Bonna und Vetera.
Der Schemel scharrte über den Boden, als Fufidius aufstand und beide Fäuste auf die Tischplatte stemmte. »Bringen wir es hinter uns, Titus Annius.«
Als sie die Taberna verließen, gesellten sich zwei bullige Leibwächter zu ihnen. Obszöne Spottlieder dröhnten auf die Gasse hinaus und verklangen nur allmählich hinter ihnen. Der Sklavenhändler bemühte sich, immer einen halben Schritt voraus zu sein, um ein Gespräch zu vermeiden, bis sie sein Anwesen erreichten, ein Fachwerkgehöft, bestehend aus einem Häuschen und mehreren Verschlägen, aus denen dumpf die Geräusche zusammengepferchter Menschen drangen. Im Hof stank es wie in einem Schweinestall.
Mit einem gellenden Pfiff verkündete Fufidius seine Ankunft, woraufhin zwei Sklaven mit Laternen herbeieilten und sich tiefer als nötig verneigten. Mit ihnen näherte sich ein vierschrötiger Mann, der an seinem bronzebeschlagenen Gürtel einen Dolch und eine Peitsche mit knotigen Riemen befestigt hatte.
»Hol die Kleine, die mir der Publicanus angedreht hat«, schnarrte Fufidius, und der Vierschrötige, wohl einer der Aufseher, verschwand wortlos im Dunkel.
Dass er ratlos darüber nachgrübelte, wo er das Mädchen
unterbringen könne, verbarg Annius hinter der starren Soldatenmiene, die er sich während seines ersten Jahres bei der Legion angewöhnt hatte. Es war der einzige Gesichtsausdruck, den die Ausbilder nicht mit Erniedrigungen beantworteten.
Eine Kette rasselte in der Dunkelheit, eine Menschenmenge geriet hörbar in Unruhe, helle Stimmen wimmerten, andere stöhnten dumpf, Laute, die nicht von Menschen zu stammen schienen. Wieder klirrte Metall, dann schälten sich im matten Schein einer Laterne zwei Gestalten aus der Nacht, der Vierschrötige und ein Mädchen mit durchgebogenem Rücken, das er vor sich her schob. Annius erkannte, dass er ihr einen Arm auf den Rücken verdreht und mit der anderen Hand ihr Haar gepackt hatte. Ihre Kleidung war zerrissen, durch einen fransigen Schlitz, der bis über ihre Knie hinauflief, schob sich bei jedem Schritt ein dünnes Bein. Als
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