Vater, Mutter, Tod (German Edition)
sich die Tür hinter der Sumoringerin. Ihre Körpermasse verdeckte die Person, die das Zimmer verlassen wollte.
Lediglich die Stimme war zu vernehmen: »Was ist denn hier los?«
Manthey erkannte Rakowski.
»Ich halte Leute davon ab, zu der Patientin vorzudringen.«
»Ähm, könnten Sie zumindest mich vorbeilassen?«
»Oh, Entschuldigung.«
Die Sumoringerin ließ den Arzt passieren und baute sich anschließend wieder vor der Tür auf.
Rakowski wirkte neben der Krankenschwester wie ein Kind. Manthey schätzte, dass er nicht einmal ein Drittel des Gewichts der Frau auf die Waage brachte.
Rakowski war derjenige, mit dem sich Manthey messen wollte, nicht seine Leibwächterin. Wenn du die Truppe demoralisieren willst, töte den General, dachte er und trat ganz nahe an Rakowski ran.
Der verharrte, seine Augen auf Brusthöhe von Mantheys schwarzem Wollpullover.
Dem Umstand, dass Rakowski um keinen Millimeter nach hinten wich, zollte Manthey Respekt.
Dennoch forderte er ihn weiter heraus. Er musste ihm den Ernst der Lage deutlich machen.
»Sie werden mich zu ihr lassen.«
»Nein.«
»Gehen Sie sofort zur Seite.«
»Die Patientin ist noch nicht so weit. Wir sind in einer kritischen Phase.«
Am liebsten hätte Manthey seine Brust nach vorne gestreckt, um den Kontrahenten vor sich herzuschubsen wie ein Gorillamännchen, das mit einem Nebenbuhler um das attraktivste Weibchen kämpft.
»Sie haben den toten Jungen gesehen und sprechen von einer kritischen Phase?«
»Es geht um den Schutz meiner Patientin.«
»Nein. Es geht darum, dass Sie die notwendigen Informationen aus ihr herausholen.«
»Wissen Sie was? Ich habe allmählich den Eindruck, Sie nehmen die Sache persönlich. Steckt da etwa mehr dahinter?«
Volltreffer. Verdammter Psychologe.
»Da habe ich wohl einen wunden Punkt getroffen?«
Nicht darauf einlassen. Gegenangriff starten.
»Sie hatten nun wirklich Zeit genug. Wie sehen Ihre Ergebnisse aus?«
Rakowski schien für einen Augenblick zu schwanken, ob er sich weiter dem Machtgerangel hingeben oder lieber auf die sachliche Schiene umschwenken sollte.
»Ich bin zuversichtlich, dass ich die Patientin in die Realität zurückholen kann«, antwortete er schließlich.
»Was heißt ›Sie sind zuversichtlich‹?«
»Es ist mir gelungen, erste Zweifel zu schüren.«
»Erste Zweifel?! Sie wissen, dass jede Minute zählt?«
»Sie haben es mir oft genug zu verstehen gegeben.«
»Fahren Sie immer noch Ihren Schmusekurs?«
»Was meinen Sie?«
»Ob Sie die Samthandschuhe inzwischen ausgezogen haben?«
»Ich hatte Ihnen gesagt, dass es angebracht ist, behutsam vorzugehen. Natürlich lasse ich die Dinge, die mir die Patientin erzählt, nicht unwidersprochen im Raum stehen.«
»Das hätten Sie von Anfang an tun sollen.«
»Ich musste mir erst einen Überblick über Art und Ausmaß ihrer Erkrankung verschaffen.«
»Sie müssen ihre Zweifel verstärken.«
»Genau das habe ich vor.«
»Sie muss Ihnen glauben, dass ihre Erinnerungen nicht der Realität entsprechen.«
»Erzählen Sie mir nicht, wie ich meinen Job zu erledigen habe!«
»Doch, das tue ich, solange Sie nicht vorwärtskommen und die Polizeiarbeit behindern. Im Gegensatz zu Ihnen war ich nach der Festnahme dafür, die Frau sofort nach nebenan ins Krankenhaus des Maßregelvollzugs einzuweisen.«
»Die Atmosphäre dort wäre kontraproduktiv gewesen. Der Zustand der Patientin ist äußerst labil. Unter der Polizeipräsenz hätte sie sich nur komplett verschlossen.«
»Ich gebe Ihnen noch vierundzwanzig Stunden. Dann werde ich sie abholen lassen und mich selbst ihrer annehmen.«
Manthey drehte sich um und ging.
13. Kapitel
Ein Tag vor der Katharsis
J acqueline schloss leise die Tür.
In vierundzwanzig Stunden wollte sie der Teufel holen.
Er hatte mit ihrem Engel gerungen, verbal, und beinahe wäre es zu Handgreiflichkeiten gekommen.
Der Teufel trug einen schwarzen Rollkragenpullover und eine anthrazitfarbene Cordhose. Sein dunkles Haar hatte sicher Tage erlebt, an denen es voller und ordentlicher gewesen war. Der Kopf des Teufels wirkte bullig, das Gesicht war vor Wut gerötet. Seine Stimme dröhnte tief und selbstbewusst.
Rakowskis helle Art zu sprechen bildete einen deutlichen Kontrast dazu.
Der Schwarzgekleidete hatte die Situation dominiert, Rakowski war zunehmend zum Statisten degradiert worden.
Jacqueline wusste nicht mehr, ob der Arzt ihr Freund oder ihr Feind war.
Einerseits quälte er sie mit seinen bohrenden Fragen,
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