Vater, Mutter, Tod (German Edition)
sprach ein Wort.
Es war noch früh am Morgen, doch der wolkenfreie Himmel kündigte einen weiteren heißen Sommertag an. In der Ferne, zwischen den Bäumen, drehte ein einzelner Jogger seine Runde.
Das Gras stand in sattem Grün; eine Bewässerungsanlage sorgte für Feuchtigkeit; in einem Schlehenbusch stritten zwei Spatzen miteinander.
Bereits nach wenigen Metern stellte sich Ruhe in Manthey ein. Er spürte, wie endlich die Last und die Anspannung der vergangenen Tage von ihm abfielen.
»Wie ist der Einsatz verlaufen?«, brach Rakowski schließlich das Schweigen.
»Thorsten Hinz ist tot.«
Manthey wartete, aber Rakowski fragte nicht weiter nach. Also begann er von sich aus zu erzählen.
»Er hatte Lukas in einem Kellerraum eingesperrt. Als mein Kollege die Tür eintrat, wurde er von Hinz mit einer Eisenstange empfangen.«
Sie passierten die hellbraunen Backsteingebäude der Klinikverwaltung.
»Keine Ahnung, ob er da schon längere Zeit auf der Lauer lag, oder ob er unser Eindringen bemerkt und sich erst dann bewaffnet hat. Das Überraschungsmoment war jedenfalls auf seiner Seite.«
»Was ist mit Ihrem Kollegen?«
»Drei Rippen sind gebrochen. Abgesehen davon geht es ihm gut.«
Manthey rieb sich die Schulter. Seine Gedanken kehrten zurück zu dem Zeitpunkt, als Sanitäter den verletzten Beamten auf einer Trage in ihren Krankenwagen befördert hatten. Auf einer zweiten hatte der Leichnam von Thorsten Hinz gelegen, bedeckt mit einem schwarzen Tuch.
»Und der Junge ist wohlauf?«
»Körperlich ja. Er hat zwar in den letzten Tagen wenig gegessen, wie es scheint, und ein paar blaue Flecken abbekommen – ansonsten wirkt er aber physisch stabil. Seine Psyche ist eine andere Geschichte. Er machte einen eingeschüchterten und verwirrten Eindruck auf mich und stand unter Schock. Im Moment kümmert sich eine Polizeipsychologin um ihn. Seine Eltern sind informiert und auf dem Weg zu ihm.«
»Prognosen, wie jemand eine derartige Extremsituation verkraftet, sind schwierig.«
»Ich nehme an, Sie sprechen von Lukas und von Jacqueline?«
»Ja, mir ist die Täterin ebenso wichtig wie das Opfer.«
Manthey verstand die Spitze. Er ließ Rakowski seine Meinung.
»Ich kenne Fälle«, fuhr Rakowski fort, »in denen die Betroffenen durchaus wieder ins Leben zurückfanden und es halbwegs normal weiterführen konnten.«
Hinter der nächsten Biegung tauchte das Klinikgebäude zwischen den Bäumen auf. Ihr gemeinsamer Rundgang war zu Ende.
»Es gab aber auch schon Patienten, die nie wieder aus ihrer Phantasiewelt zurückkehrten.«
38. Kapitel
Jacquelines Berichterstattung
E s klopfte.
Ehe Jacqueline ›herein‹ sagen konnte, öffnete sich bereits die Krankenzimmertür.
Lukas sah kurz umher, dann stürmte er freudestrahlend zum Bett.
Jacqueline breitete die Arme aus. Nachdem Lukas zu ihr hochgeklettert war, drückte sie ihn glücklich an sich.
Hinter ihm hatte René den Raum betreten, in der Hand einen Strauß roter und weißer Rosen. Er schien im Büro gewesen zu sein, denn er trug den Anzug, in dem ihn Jacqueline so gerne sah.
René beugte sich zu ihr hinab und küsste sie.
Sie fühlte sich im siebten Himmel, war froh, ihre beiden Liebsten so nahe bei sich zu haben.
Sie lächelte.
»Wie geht es dir heute?«, fragte René sanft, während Lukas wieder vom Bett hinunterrutschte.
»Die Kopfschmerzen sind unverändert«, antwortete sie.
»Das tut mir leid.«
»Dr. Rakowski kümmert sich gut um mich. Er hat mir neue Medikamente verschrieben.«
Sie deutete auf die dreiteilige Tablettenbox auf dem Beistelltisch. Unter den durchsichtigen Kunststoffdeckeln, beschriftet mit ›morgens‹, ›mittags‹ und ›abends‹, konnte man Pillen in Violett, Blau und hellem Grün erkennen.
»Er ist sich sicher, die Schmerzen bald in den Griff zu bekommen.«
»Ich habe gerade eben kurz mit ihm gesprochen. Ich glaube auch, dass du mit ihm eine gute Wahl getroffen hast.«
Eine Schwester kam ins Zimmer. Sie brachte eine Blumenvase, in die sie nun Renés Rosen steckte.
Sie stellte die Vase auf den Tisch am Fenster, und René bedankte sich bei ihr.
Lukas setzte sich an den Tisch, und Jacqueline beobachtete, wie er etwas auf ein Stück Papier kritzelte. Den Stift und das Papier musste er mitgebracht haben, denn sie erinnerte sich nicht daran, dass Schreibutensilien auf dem Tisch gelegen hätten.
Lukas war fertig und stand auf.
Mit selbstbewusstem Lächeln ging er auf Jacqueline zu und überreichte ihr sein Werk.
»Jetzt
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