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Vater sein dagegen sehr

Vater sein dagegen sehr

Titel: Vater sein dagegen sehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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auch neuerdings mit Schrot«, brummte er, »da muß man schließlich mit zehn Schüssen anderthalb Spatzen erwischen.«
    »Und dein Roman?« schnurrte sie und türmte die Kissen in ihrem Rücken höher auf.
    »Vorläufig besteht davon das Skelett und eine flüchtige Skizze zum ersten Kapitel.«
    »Zünd mir noch eine Zigarette an und setz dich zu mir«, bat sie und streifte den Rock über die seidig glänzenden Beine.

Z W E I T E S K A P I T E L

    Der schwarze Hut war um eine gute Nummer zu klein. Lutz mußte ihn auf den Hinterkopf schieben und sah darin verwegen, aber nicht gerade begräbnismäßig feierlich aus. Die schwarze Florbinde, die Margot ihm aus den Beständen ihres Vaters mitgegeben hatte, trug er in München in der Manteltasche. Er hätte unmittelbaren Anschluß nach Traunstein gehabt, aber er übersprang in München zwei Züge, um im Bahnhof eine Tasse Kaffee zu trinken und am Vormittag eine Redaktion aufzusuchen, die im Verlauf des letzten Jahres ein halbes Dutzend seiner Arbeiten veröffentlicht hatte. Es bestand für Lutz keine Notwendigkeit, diesen Besuch zu machen; er kannte den Redakteur, mit dem er in Verbindung stand, bereits seit mehreren Jahren persönlich, und er hatte auch ursprünglich die Absicht gehabt, sich erst bei der Heimfahrt für einen halben Tag in München aufzuhalten. Vielleicht hätte er es nicht zugegeben, aber im Grunde war es die Furcht vor den nächsten Stunden und vor dem Zusammentreffen mit der Trauergesellschaft und ihrer offiziellen Feierlichkeit, die ihn veranlaßte, erst im letzten Moment zu erscheinen.
    Ja, er war in seinem Turm ein wenig menschenscheu geworden. Nicht einsiedlerisch, davor bewahrte ihn schon Margot mit ihrem gesunden und unersättlichen Appetit nach Zerstreuungen in Theatern, Kinos und kleinen Gesellschaften (sie nannte sie Partys), die sie in den Fischerturm einlud und für deren Bewirtung mit Sandwiches und Alkohol sie äußerst großzügig sorgte. Aber er mied, wo es nur anging, alles Konventionelle; die Feste des feudalen Tennisklubs, die Veranstaltungen des Reitervereins und der übrigen Zirkel, von denen Margot mit Einladungen überschüttet wurde und in die sie ihn hineinzulotsen versuchte. — Seine einzige Hoffnung war, daß außer den Roeckels aus Coburg, den einzigen Verwandten, keine weiteren Trauergäste an der Bestattung teilnehmen würden. Er entsann sich mit Beklemmung der Begräbnisfeierlichkeiten für seinen Vater, der zylinderstarrenden Herren, die ihm und seiner Schwester Hertha die Hände geschüttelt und später einen Appetit entwickelt hatten, der ihn seiner ganzen Urlaubsmarken beraubte und Hertha in bittere Tränen ausbrechen ließ. —
    Gegen zwei Uhr kam er in Traunstein an und streifte, während er langsam zum Friedhof hinauswanderte, die schwarze Binde über den verwaschenen Ärmel seines Trenchcoats. Das Wetter, in München noch regnerisch und kühl, hatte sich nach dem Passieren der Klimascheide des Chiemsees gebessert. Die Sonne schien, eine prickelnd warme Märzensonne, die schon dazu einlud, sich auf windgeschützten Südbalkonen die Winterblässe übertünchen zu lassen. Die großen Wächter der Landschaft, der Hochfelln und der Hochgern, schwangen sich blitzend in die üppige, fast südliche Bläue des Himmels.
    Wie immer, wenn Lutz diese Landschaft berührte, fragte er sich, weshalb er nicht hier wohne und lebe, in einem Zimmer an den Uferhängen der Traun, unterhalb von Ettendorf vielleicht, mit Blick über das grüne Flußtal und die kleine Stadt und das blitzende Kreuz der Kirche hinweg auf die kraftvollen Konturen dieser Berge. In der verlockenden Nähe von Salzburh und in der Nähe von München. Und vielleicht fände man auch hier so etwas wie einen Turm.
    Er kaufte in einer Gärtnerei einen Strauß weißer Chrysanthemen und kam zu früh und zu spät auf den Friedhof. Zu spät, um seine Schwester Hertha noch einmal zu sehen. Er legte die Blumen auf den einfachen Sarg, der bereits geschlossen war, und stapfte für die Stunde, die ihm noch verblieb, durch den Hochwald, der sich unmittelbar an den Friedhof anschloß und weithin nach Norden erstreckte. Hier lag noch Schnee, eine spröde, körnige Decke, die faulig einbrach und seine Spur deutlich bewahrte. Sein Gesicht glühte, und seine Hände prickelten vor Wärme, als er nach einer halben Stunde kehrtmachte und, um den Weg nicht zu verfehlen, in der eigenen Spur zurückging.
    Er stieß zu der Trauergesellschaft, als sich der Zug mit dem vorangetragenen Sarg

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