Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vater sein dagegen sehr

Vater sein dagegen sehr

Titel: Vater sein dagegen sehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
bereits von der Friedhofskapelle zu jener Grube neben dem aufgeworfenen Kieshügel bewegte, der nach kurzer Zeit über die schwarzen Fichtenbretter gewölbt werden sollte. Es waren mehr Menschen zu der Beerdigung erschienen, als er je vermutet hätte, und er reihte sich schweigend in das stumme Gefolge ein. Vorn gingen die Kinder, Traudl und Rudi, verschüchtert und mit roten Nasen, und doch sich als Mittelpunkt eines Ereignisses interessant fühlend, dessen Tragweite sie noch nicht begreifen konnten. Beide in rasch zurechtgeschneiderten oder ausgeborgten dunklen Gewändern, die um ihre dünnen Beine schlotterten. Besonders das Mädel war erschreckend mager. Lutz entsann sich nicht, solch nadeldürre Beine und solch lange Füße überhaupt schon jemals bei einem Kind gesehen zu haben. Er hatte Traudl als ein molliges, rundliches Ding in Erinnerung, an dem damals, als er Hertha das letztemal besuchte, nur die grotesken Lücken des ersten Zahnwechsels gestört hatten. Der Bub, damals eine quietschende Quecksilberkugel von vier Jahren, sah etwas fester und weniger gebrechlich aus, aber es waren ein Paar unmögliche Hosen, in die man ihn gesteckt hatte. Die schwarzen Röhren reichten bis auf die halbe Wade hinunter, und dazu trug er, bis auf die flammenden großen Ohrmuscheln herabgedrückt, eine dunkelblaue drahtgespannte Mütze mit einem schwarzen Lackschirm. Herrgott noch einmal! Er sah schon jetzt so aus, als liefe er in der Anstaltsuniform eines Waisenhauses herum. So wie diese beiden Kinder hatte man nach Frau Roeckels Ansicht also auszusehen, wenn einem die Mutter gestorben war. — Schauerlich.
    Da schritt sie, die geborene Luedecke, hinter den Kindern drein, an der Seite ihres Mannes, des Eisenbahners, der eine schwarze Melone, aber an den schwarzen Hosen die schmale rote Biese seines Berufes trug. Er sah eigentlich ganz gemütlich und lebendig aus, jedenfalls für einen Mann, der als Lokomotivführer oder sogar Oberlokomotivführer zeitlebens mit einem Fuß im Grabe und mit dem andern im Zuchthaus stand. Ein Schöppchentrinker, ein Rippchenesser, ein Skatspieler, eine brave, ehrliche Haut. Aber sie, die geborene Luedecke, von den Zigarren=Luedeckes in Breslau, die eigentlich einen Amtsgerichtsrat oder höheren Regierungsbeamten hätte heiraten können und als Tochter vom alten Luedecke auch bekommen hätte, sie sah bedeutend weniger gemütlich aus. Die Kinder hatten nicht viel zu lachen, wenn sie sie zu sich nahm. Aber das war ja noch nicht heraus — und das waren schließlich auch nicht seine Sorgen. Nein, das waren nicht seine Sorgen. Gott sei Dank waren das nicht seine Sorgen! Immerhin hatte er wohl Sitz und Stimme in dem anschließenden Familienrat, was mit den Kindern nun geschehen solle. Denn irgend etwas mußte ja nun wohl geschehen. Man konnte die beiden Bälger ja nicht so einfach ihrem Schicksal überlassen. — Ja, wenn der Laden, den Hertha sich aufgebaut hatte, drei- oder vierhundert im Monat abgeworfen hätte, dann hätte man jemand hineingesetzt und gesagt: so, du nimmst dir hundertundfünfzig im Monat und hast die freie Wohnung dazu, und für den Rest schicken wir die Kinder in ein Internat oder in ein Landschulheim, nun ja. Aber soweit er sich entsann, warf das Geschäft keine hundertfünfzig im Monat ab. Und was bekam man schon auf die Hand, wenn man es verkaufte? Wahrscheinlich einen Pappenstiel, ein paar Kröten, die hinten und vorn nicht langten. Aber auch das waren nicht seine Sorgen. Das hätte ihm gerade noch gefehlt, daß das seine Sorgen waren. Lieber Gott! Obwohl auf der anderen Seite natürlich irgend etwas mit den Kindern geschehen mußte. —
    Sein Nachbar zur Rechten schien Bedürfnis nach einem Gesprach zu haben. Es war ein kleiner, dicker Mann, der ihn schon ein paarmal ermunternd angeblinzelt hatte.
    »Auch geschäftlich hier?« fragte er und klopfte mit dem dicken, behandschuhten Zeigefinger in die Brieftaschengegend.
    — Um Himmels willen, dachte Lutz erschrocken, ein Gläubiger!
    »Dicke Außenstände?« fragte er und kniff ein Auge zu.
    »Kein Pfennig. — Wo denkens hin? Bei dem Pamperlg'schäft?«
    »So, so«, murmelte Lutz beruhigt.
    »Bei Ihnen etwa?« fragte der Dicke.
    Lutz schüttelte den Kopf.
    »Lohnt eigentlich gar nicht, daß ma' mitgeht«, bemerkte der Dicke. Lutz ließ es offen, ob er diese etwas seltsame Auffassung teile oder ablehne.
    »Ja mei«, seufzte der Dicke auf, »dö Weiberleut sterben halt aa, da kannst nix macha. — Das Begräbnis vom alten

Weitere Kostenlose Bücher