Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vater sein dagegen sehr

Vater sein dagegen sehr

Titel: Vater sein dagegen sehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
jetzt auch nur eine einzige Träne vergossen hat? Völlig ungerührt, als ob im Sarg nicht seine Mutter, sondern ein Stein gelegen hätte!« Sie schnupfte auf und preßte das Taschentuch gegen die Nase, ein weißes Taschentuch mit einem schwarzen Trauerrand. Lutz betrachtete es verblüfft, er hätte es nicht für möglich gehalten, daß es so etwas gab und daß man so etwas tatsächlich kaufte und benutzte. Jawohl, das war die echte Trauer!
    »Oh, ich nehme an, es wird daran liegen, daß er mit seinen sieben Jahren noch nicht so recht versteht, was der Tod im allgemeinen und was dieser Tod für ihn im besonderen bedeutet. — Wie konnte das überhaupt so plötzlich geschehen?«
    »Durchgebrochener Blinddarm«, antwortete sie lakonisch.
    Lutz senkte den Kopf. Er hatte genug medizinische Erfahrung, um zu wissen, daß seine Schwester keinen leichten und keinen sanften Tod gehabt hatte. Armes Ding, wahrscheinlich hatte sie sich vor lauter Sorgen, was mit den Kindern geschehen sollte, wenn sie ins Krankenhaus ging, zu spät entschlossen, den Arzt aufzusuchen.
    »Eine böse Geschichte, eine ganz verdammt böse Geschichte«, murrte Herr Roeckel und stieß das Kinn nach vorn, »mit den beider, da!« —
    Die Kinder hatten irgend etwas miteinander. Der Bub bockte, und Traudl versuchte, ihn an der Hand weiterzuzerren.
    »Geht doch manierlich! Was sollen die Leute denken, wenn sie euch hüpfen sehen, als ob ihr vom Jahrmarkt kommt!«
    Traudl drehte sich um, sie verrenkte den Hals und hob die rechte Schulter, ihr Gesicht flammte vor Verlegenheit: »Er sagt, er muß mal.«
    »Hier mitten auf der Straße! — Hat das nicht bis daheim Zeit?!«
    Die Kleine flüsterte mit ihrem hüpfenden Bruder und machte sich entschlossen zum Dolmetscher seiner Wünsche: »Nein, er sagt, es hat keine Zeit.«
    »Komm her, Rudi!« rief Lutz und bat die Roeckels, voraus« zugehen. »Also los, oder muß ich dir helfen?« Er brauchte nicht zu helfen, aber er stellte fest, daß mit dem Verschwinden der kleinen Not auch die Glut der Ohrmuscheln erlosch. Sie konnten bald hinter den anderen herlaufen. Der Bub trippelte stumm neben ihm her.
    »Ich wollte dir etwas mitbringen, Rudi«, sagte Lutz, um das Gespräch zu eröffnen und den Bann der Fremdheit zu brechen, »aber ich wußte nicht, was dir lieber ist, Schokolade oder Bonbons?«
    Der Junge blickte vor lauter Schüchternheit nicht auf.
    »Na, also was denn?« fragte Lutz ermunternd.
    »Ois beids zamm!« Es kam wie aus einer Pistole.
    »Was meintest du? Ich habe dich nicht verstanden, ich bin nicht solch ein alter Bayer wie du.«
    »Alles beides zusammen«, wiederholte der Rudi langsam und überdeutlich, wie in der Schule, wenn er aus der Fibel vorlesen mußte. »Am liebern Nußschokolad mit die ganzen Nüß und Karamellguttln — und die Traudl aa.«
    Eigentlich nett von ihm, daß er an seine Schwester dachte.
    »Du magst die Traudl gern, wie?«
    »Mei'«, sagte der Bub schulterzuckend, »gern — es ist halt a Weiberleut — aber sonst ganz zerm.«
    »So, so«, sagte Lutz verblüfft. Eine merkwürdige Brut, die seine Schwester da in die Welt gesetzt hatte. Was zerm sei, getraute er sich nicht zu fragen, aber er ahnte, daß es etwas Ähnliches wie etwa zünftig oder nett bedeuten müsse.
    »Also du sagst mir nachher, wenn wir in die Stadt kommen, Wo es die besten Bonbons gibt, ja? Da gehen wir dann hin.«
    »Die mehreren gibt's beim Silcher, gleich neben dem Metzger Hartlmeier, aber die bessern gibt's beim Kerschensteiner.«
    »Und wofür entscheidest du dich, Rudi?«
    »Für die mehrern!« antwortete der Bub fest und deutlich.
    Vorn hatten die Roeckels Traudl in ihre Mitte genommen und es lag Lutz nichts daran, sich ihnen allzu eilig anzuschließen. Irgend etwas an der Art des Buben amüsierte ihn, obwohl der Rudi durchaus nicht gesprächig war und sich sogar einer spürbaren Zurückhaltung befleißigte. Ja, es kam Lutz so vor, als ob dieser Neffe Rudi ihm durchaus nicht gewogen sei und ihn sogar mit einem gewissen Mißtrauen betrachte. Wahrscheinlich hatten die Kinder etwas von dem Zerwürfnis zwischen ihm und Hertha aufgeschnappt, oder vielleicht hatte Hertha von ihm nicht allzu freundlich gesprochen. Immerhin, zwischen Rudi und ihm war das Eis jetzt gebrochen. Der Bub schnüffelte vernehmlich, linste ihn von unten herauf an und schien etwas auf dem Herzen zu haben. Lutz legte ihm die Hand auf die Schulter und bemühte sich, seinen Schritt dem kürzeren des Buben anzupassen. Er bot ihm auch sein

Weitere Kostenlose Bücher