Vater sein dagegen sehr
Kerschensteiner hättens mitmachen müssen! Dees war a Leich'! Dee ha'ma obigschwappt! Fünf Maß hat er testamentarisch gemacht für jeden, der wo eahms Gleit gibt, der oid Kerschenstoaner! Fünf Maß.«
Lutz nickte höflich und anerkennend.
»Sie san net von hier, ha?« forschte der Dicke.
Lutz schüttelte den Kopf.
»Von wo sans nacha?«
»Von außerhalb«, antwortete Lutz.
»Verwandtschaft?« fragte der Dicke unermüdlich.
»Ja, der Bruder.«
»So, so, der Herr Bruder, da schau her! Nacha nix für ungut — und mei Beileid, war a brave Frau, kreuzbrav.«
Dann standen sie vor der offenen Grube, und dann wurde der Sarg hineingesenkt, und dann sprach der Geistliche, herzlich und tröstend, und dann kam auch Lutz dazu, seiner Schwester eine Handvoll Erde nachzuwerfen. Aber da hatte Frau Ulrike Roeckel die Kinder schon unter den schwarzen Flügeln ihres Capes fortgeführt und wartete hinter der schneebemützten Mauer einer Thujahecke auf das Ende der Zeremonien. Lutz Ventura, der erst jetzt dazu kam, dem Geistlichen seinen Namen zu nennen und sich auch Herrn Friedrich Roeckel vorzustellen, bat ihr einiges ab. Sie schien mehr Herz zu besitzen, als die tragische Maske, die wohl die Maske ihres Lebens war, es ihn hatte vermuten lassen. —Mehr Verwandtschaft war nicht da und existierte wohl auch nicht. Jedenfalls nicht von seiner Seite. Die übrigen Trauergäste waren »geschäftlich« erschienen, oder es waren Bekannte seiner Schwester, die es nun, nachdem sie der Toten das letzte Geleit gegeben hatten, eilig heimzog.
»So — Sie sind also der Herr Ludwig Müller!« Das waren die ersten Worte, die Friedrich Roeckel aussprach, und Lutz war seines eigentlichen Namens so entwöhnt, daß er sich erst besinnen mußte, um zu sagen, daß es so sei.
»Tcha... «, murmelte Herr Roeckel und ließ Arme und Schultern sinken und schaute sich nach seiner Frau um, »das ist eine schlimme Geschichte. Eine schlimme Geschichte ist das. Der Vater tot, und jetzt die Mutter tot — und da stehen sie nun, die Kinder!« Er fuhr sich mit dem Zeigefinger unter die Nase und rieb ihn am Handschuh der anderen Hand trocken. — »Wir haben Sie eigentlich schon heute vormittag erwartet.«
»Ich bekam das Telegramm erst gestern abend.«
»Ein Uhr sechsundfünfzig Würzburg, sieben Uhr neunzehn an München, ab München acht Uhr elf, an Traunstein neun Uhr siebenundvierzig«, schnurrte Herr Roeckel wie am Schnürchen herunter. Gegen den Vorwurf, der dahinter steckte, hatte Lutz nichts vorzubringen, und er verzichtete auch auf eine lahme Erklärung. Sie setzten ihre Hüte auf und gingen nebeneinander zu Frau Roeckel und zu den Kindern hinüber.
»Das ist Herr Müller, der Bruder von Hertha«, sagte Roeckel zu seiner Frau, »das ist euer Onkel.« Die Kinder schauten ihn schräg von unten herauf an und brachten ihre roten und rissigen Kinderhände ziemlich zögernd hinter dem Rücken zum Vorschein.
»Ja, ich bin euer Onkel Lutz«, murmelte er und mußte sich die belegte Stimme erst freiräuspern. Es wäre wohl richtig und nett gewesen, wenn er den Kindern eine Tafel Schokolade mitgebracht hätte. Aber das ließ sich ja noch nachholen.
»Sie sind also doch noch gekommen!« stellte Frau Roeckel fest. Sie musterte ihn und seine Erscheinung kühl und ungeniert von Kopf bis Fuß, verhakte sich an einer durchgescheuerten Stelle seines Mantelkragens und an einem baumelnden Knopf und schien mit ihrem Urteil fertig zu sein: unsolid, schlampig und schäbig. — Wahrscheinlich wußte sie, daß er Schriftsteller war, und wahrscheinlich entsprach er genau der Vorstellung, die sie sich von einem Menschen mit solch einem fragwürdigen Beruf gemacht hatte. — Herr Roeckel schaute sich um. An der Grube waren zwei Männer dabei, den Hügel aufzuschütten. Er hustete und schlug die Hände gegeneinander.
»Na — dann können wir wohl...«, brummelte er, »und außerdem habe ich eisige Füße.«
Die Marschordnung ergab sich von selbst. Die beiden Männer nahmen Frau Roeckel in die Mitte, und die Kinder trabten voran. Das Mädel storchte durch den Schneematsch, während es dem Buben gefiel, in die Pfützen hineinzustapfen und die Eisgallerte auseinander und seiner Schwester an die Beine zu spritzen.
»Unterlaß das, Rudolf!« rief Frau Roeckel scharf. Der Bub zog den Hals ein und trottete brav weiter. Nur seine abstehenden Ohren flammten noch feuriger auf.
»Ein komischer Junge, dieser Junge«, bemerkte Frau Roeckel hüstelnd, »glauben Sie, daß er bis
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