Vater unser
liegt.» In diesem Moment kam Ariana, Dr. Barakats Sekretärin, zurück und reichte Rick den fertig getippten Bericht mit einem koketten Lächeln.
« Fröhliche Feiertage», sagte sie zuckersüß.
« Danke, dir auch», antwortete Rick und erwiderte ihr Lächeln. Dann stand er auf.
« Gute Arbeit, Chris. Ich lese mir alles in Ruhe durch und rufe dich dann an, damit wir deine Aussage für Mittwoch besprechen können. Zieh dir was Ordentliches an, und vergiss nicht, die Anhörung beginnt um Punkt halb elf. Len Farley ist erbarmungslos, besonders bei der armen Julia. Er lässt sie seit sechs Wochen ununterbrochen vor Gericht antreten.»
« Viel Glück beim Geschenkekauf», sagte Barakat mit dem gleichen amüsierten Tonfall wie zuvor.
« Und mach einen großen Bogen um die Juweliergeschäfte!» Julia blieb sitzen. Ihre Gedanken kreisten um all das, was Dr. Barakat ihnen erklärt hatte. Eine Sache ließ sie nicht los.
« Dr. Barakat, ich muss Sie noch etwas fragen», sagte sie.
« Wenn David Marquette nicht schizophren ist, wenn er nur simuliert, wie Sie annehmen – was ist er dann? Sie sagten eben, er sei intelligent, gerissen und ein Meister der Manipulation, aber was bedeutet das genau? Was für ein Mensch ermordet ohne offensichtliches Motiv seine gesamte Familie und ist hinterhältig genug – intelligent genug, wie Sie sagen –, um anschließend glaubhaft die Symptome einer katatonen Schizophrenie vorzutäuschen?» Diesmal zögerte Christian Barakat keine Sekunde, « Die Frage ist leicht zu beantworten, Julia», sagte er kühl.
« Wenn er simuliert – dann ist er ein Monster.»
KAPITEL 47
E R IST PROZESSFÄHIG», berichtete Julia Lat am Telefon. Dann trank sie einen großen Schluck von ihrem inzwischen kalt gewordenen Kaffee und suchte in ihrer Schreibtischschublade nach vier Vierteldollar-Münzen, um sich einen neuen Becher aus dem Automaten holen zu können.
« Da habe ich aber in den Nachrichten heute Mittag etwas anderes gehört», erwiderte Lat.
« Wer behauptet das denn?»
« Christian Barakat. Er hat uns heute Nachmittag seinen Bericht gegeben. Er glaubt, dass Marquette nur schauspielert. Laut Barakat liegt Marquettes seltsames Verhalten entweder an der hohen Medikamentendosis oder daran, dass David Marquette» – sie zögerte kurz –
« ein Psychopath ist. Dr. Barakat hat seine Untersuchungen zwar noch nicht abgeschlossen, aber offenbar hat Marquette bereits eine ziemlich hohe Punktzahl auf der ‹Psychopathen-Checkliste) erreicht.» Sie kramte am Boden ihrer Handtasche und fand zwischen Fusseln und Krümeln schließlich einen Vierteldollar.
« Ein Psychopath? Das klingt einleuchtend. Wer sonst würde mitten in der Nacht mit dem Küchenmesser auf seine Familie losgehen?» Sie schloss die Augen. Ein Monster.
« Tja, das wird wohl ein interessanter Mittwochmorgen», sagte Lat, da Julia schwieg.
« Sind Sie auch da?», fragte sie leise.
« Auf jeden Fall. Ich frage mich, ob Levenson seinen Mandanten in den Zeugenstand ruft.»
« Das bezweifele ich. Levenson müsste verrückt sein.» Verrückt. Das Wort klang seltsam, hatte plötzlich eine ganz andere Bedeutung. Julias Handflächen wurden feucht.
« Machen Sie die Anhörung?», fragte er. Die Vorstellung war dermaßen abwegig, dass Julia laut auflachte. Eher würde sie einen Sechser im Lotto haben, als dass Rick sie einen Gutachter im Zeugenstand befragen ließ.
« Ich sitze mit am Tisch», sagte sie diplomatisch.
« Zu dumm», entgegnete Lat. Julia war sich nicht sicher, ob er das als Kompliment für sie oder als Schlag gegen Rick gemeint hatte, also erwiderte sie vorsichtshalber nichts.
« Da hat sich Farley ja ein großartiges Datum ausgesucht», fuhr Lat fort.
« Vier Tage vor der Weihnachtspause. Was für ein Mistkerl.»
« Das macht er mit voller Absicht», sagte Julia.
« Feiertage und Urlaube vermiesen kann er mit Abstand am besten.» Diesmal lachte Lat.
« Ich hoffe, er hat Ihnen das Weihnachtsfest nicht versaut. Wohnt Ihre Familie hier in der Nähe?» Julia spürte einen Stich im Herzen, der sie einen Augenblick lang lähmte. Ihr hätte klar sein müssen, dass diese Frage irgendwann kommen würde, doch es fühlte sich an, als hätte sie jemand von hinten überfallen und drückte ihr die Kehle zu. Sie hasste die Weihnachtszeit. Zwischen Thanksgiving und Neujahr war jeder Tag eine Qual, jede Nacht brachte furchtbare Erinnerungen, die von Jahr zu Jahr schlimmer zu werden schienen. Überall waren fröhliche Menschen im Kreise ihrer Familien zu sehen
Weitere Kostenlose Bücher