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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
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Was?»
« Sind Sie beide fertig mit Ihrem Geplauder?», fragte Farley schnippisch und schwang herum.
« Ich würde diese Anhörung gern heute noch hinter mich bringen.»
« Äh ...», begann Julia zögerlich und wandte sich wieder dem Richter zu, « Detective Latarrino hat gerade mit Mr. Bellido gesprochen, Euer Ehren. Er hatte einen Unfall. Es ist nichts Ernstes, aber Mr. Bellido wird für einige Zeit verhindert sein. Er beantragt – die Anklage beantragt – eine Vertagung der Anhörung.» Der Richter schwieg und ließ seinen Blick durch den Gerichtssaal schweifen.
« Abgelehnt», sagte er schließlich. Ein aufgeregtes Murmeln brandete durch den Saal.
« Abgelehnt?», fragte Julia. Ihre Hände wurden feucht.
« Mr. Bellido ist doch noch am Leben – oder, Detective? Er liegt nicht im Krankenhaus, oder? Und selbst wenn», erklärte Farley und zeigte vor allen Kameras direkt auf Julia, « er hat schließlich eine zweite Anwältin, die ihn bei diesem wichtigen Fall vertreten kann. Eine sorgfältig ausgewählte zweite Anwältin, wie ich hinzufügen darf. Ein kleiner Blechschaden im Berufsverkehr sollte also kein Grund dafür sein, meine Zeit zu vergeuden. Ich habe die Gutachten von Dr. Barakat und Dr. Koletis vorhegen, und da die Herren offenbar geteilter Meinung sind, was die Prozessfähigkeit des Angeklagten betrifft, haben wir heute Morgen noch einiges vor. Während Mr. Bellido auf den Abschleppwagen wartet, verrinnt unser aller wertvolle Zeit. Wenn Ms. Valenciano nicht in der Lage ist, diese Anhörung durchzurühren, wird eben nur die Verteidigung ihre Beweise präsentieren.» Julia starrte auf ein Astloch in der Tischplatte. Das war übel. Das war ganz übel. Offiziell mochte sie zweite Anwältin sein, inoffiziell jedoch ... Sie erinnerte sich an Ricks Worte, als er mit Dr. Barakat und Charley Rifkin sprach: ... mein Fall. An Dayanaras Warnung, ihre wichtigste Amtshandlung würde wahrscheinlich darin bestehen, Rick während der Verhandlung die Unterlagen zu reichen. Vielleicht würde sie auch einige unbedeutende Personen befragen dürfen, wie zum Beispiel den Archivar des Gefängnisses. Wenn sie Glück hätte, dürfte sie vielleicht bei der Eröffnung ein paar Worte sagen. Sie hatte diese Tatsache akzeptiert und betrachtete den Fall als eine Möglichkeit, Erfahrung zu sammeln. Doch jetzt verlangte Richter Farley von ihr, dass sie die Anhörung allein durchführte, und dank Kabel-und Satellitenfernsehen würde die ganze Welt ihr dabei zusehen. Day saß in der ersten Reihe, mit ein paar Kollegen von der Staatsanwaltschaft, die gekommen waren, um zuzusehen. Jetzt lehnte sie sich über das Geländer und flüsterte beruhigend:
« Ich rufe bei der Rechtsabteilung an Julia. Tu nichts, bis sie jemand schicken.» Julia nickte, und Day hastete aus dem Gerichtssaal.
« Mr. Levenson, sind Sie bereit?», fragte Farley.
« Ja», erwiderte er lächelnd und erhob sich. Levenson war nicht dumm und schnappte nach dem Knochen, den der Richter ihm gerade hingeworfen hatte.
« Aufgrund der psychischen Verfassung meines Mandanten halte auch ich es für angebracht, die Anhörung heute durchzuführen, ohne weitere Verzögerungen», sagte er nachdrücklich. Er deutete auf Marquette, der in seinem roten Overall zwischen ihm und Stan Grossbach saß. Marquette schien in derselben Verfassung zu sein wie bei der Anklageerhebung. Blass, unrasiert und ungepflegt, starrte er teilnahmslos ins Leere. Sein Haar war nicht geschnitten worden, und aus dem Dreitagebart war ein struppiger Vollbart geworden. Gewöhnlich tat die Verteidigung alles, um die Mandanten vor Gericht sympathisch und gesittet wirken zu lassen. Sie steckte sie in teure Anzüge oder züchtige Kleider, wenn es der Fall verlangte, deckte Tätowierungen ab, färbte die Haare, entfernte Piercings. Manche nahmen sogar die Hilfe von Stylisten und Körpersprachtrainern in Anspruch, um die Jury milde zu stimmen. Im Gerichtssaal spielte der äußere Eindruck eine nicht zu unterschätzende Rolle. Und der struppige Höhlenmensch war anscheinend die Rolle, welche Mel Levenson sich für seinen Schützling ausgedacht hatte. Marquette starrte apathisch vor sich hin.
« Der Tausend-Meter-Blick», wie es Dr. Koletis in seinem Bericht nannte. Wenn die Augen wirklich das
« Fenster zur Seele» waren, hatte er womöglich gar keine Seele. Julia erschauerte, als sie an Dr. Barakats finstere Worte dachte. Er schafft es, selbst Fachleute von seiner Krankheit zu überzeugen, dass er geisteskrank ist, und

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