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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Tuberkulosehusten. Draußen war es kalt & das Fenster des Waschsalons war ganz beschlagen & wir konnten nicht raussehen & Eddie stand gebeugt vor dem Trockner, hob seine Sachen an seine Nase & roch genießerisch an jedem Teil bevor er es akribisch faltete als wolle er seine Unterhosen in den Krieg schicken.
    »He, was ist das denn?«, stieß Eddie plötzlich hervor als er an seinen Sachen roch & sein Gesicht verzog sich bei jedem tiefen Inhalieren. »Da muss was in der Maschine gewesen sein! Die riechen nach Scheiße!«
    Er wedelte mit seinen Sachen unter Astrids Nase herum. »Ich rieche nichts.«
    »Wie kannst du das nicht riechen? Vielleicht riechst du nicht, was ich rieche, aber du musst doch irgendwas riechen!« »Ich rieche nichts Unangenehmes.« »Martin. Riechst du auch keine Scheiße?« Ich schnupperte widerwillig. »Es riecht gut.« »Scheiße riecht gut?«
    Eddie steckte seinen Kopf in den Trockner & schnupperte. Ich lachte & Astrid lachte & es war ein schöner Moment. Dann sagte Astrid: »Ich bin schwanger« & Eddie schlug sich den Kopf im Trockner an.
    Ein Baby! Ein dämliches Baby! Ein unter sich machender ungeformter Zweibeiner mit einem Erbsenhirn! Ein grässlicher zahnloser Homunkulus! Der Inbegriff von Ego! Eine quengelnde Schlange der Bedürftigkeit! Ein kahlköpfiger weinerlicher Menschenaffe!
    Mein Leben ist vorbei.
     
     
    Hilfe!
    Das Thema der Stunde: Abtreibung. Ich ihr leidenschaftlichster Verfechter. Ich höre mich selbst in Gesprächen m. Astrid die Vorzüge der Abtreibung preisen als wäre es eine neue zeitsparende Technologie auf die wir nicht verzichten können. Wie bei allem anderen schwanken ihre Erwiderungen zwischen vage & verschwommen & schlichtweg mysteriös. Sie sagt Abtreibung sei womöglich witzlos - was immer das bedeutet.
    Sex: das Streichholz das menschliches Feuerwerk zündet. In unserem liebesfreien Palast haben wir ein Kind gemacht. Beinahe pleite zu sein gewann eine neue & erschreckende Bedeutung kombiniert mit der grässlichen Erkenntnis dass ich nicht die Herz/Cleverness/Rückgrat/Amoralität habe um einfach grußlos aus dem Land zu verschwinden und nie zurückzukommen. Zu meinem Entsetzen haben sich Prinzipien ins Gefüge meines Seins eingeschlichen. Ich kann mich an kein einziges Mal erinnern dass meine Eltern moralisches Rückgrat bewiesen hätten und trotzdem besitze ich dieses moralische Rückgrat & ich weiß dass ich Astrid nicht verlassen kann. Ich sitze in der Falle. Hoffnungslos!
     
     
    Viel später
    Habe seit Monaten nicht geschrieben. Astrid hochschwanger. Der Fötus wächst unaufhaltsam. Der Eindringling kommt näher. Meine eigene private Bevölkerungsexplosion: die Querschnittslähmung für meine Unabhängigkeit. Kümmert es mich ob er stirbt?
    Das einzig Gute das womöglich daraus erwachsen könnte ein Kind zu haben: Was ich von ihm lernen könnte und damit meine ich nicht die übelkeitserregenden niedlichen Geh-Rede-Scheißversuche die alle Eltern derart begeistern dass sie einem ihre Beobachtungen wieder und wieder schildern bis man nicht nur alle Kinder auf der ganzen Welt hasst sondern plötzlich sogar einen unerklärlichen Widerwillen gegen Kätzchen & Hundebabys entwickelt. Aber mir kam der Gedanke ich könnte von diesem Kind etwas über die Natur des Menschen erfahren - und wenn ich Harrys Erklärung akzeptiere dass ich der geborene Philosoph bin dann könnte dieses Baby ein ehrgeiziges philosophisches Projekt werden. Was wenn ich es in einem Küchenschrank ohne Licht aufwachsen ließe? Oder in einem Raum voller Spiegel? Mit Dali-Bildern? Offenbar müssen Babys lächeln lernen also was wenn ich es niemals anlächelte? Kein Fernsehen natürlich keine Kinofilme vielleicht auch keine Gesellschaft - was, wenn es nie einen anderen Menschen zu sehen bekäme als mich oder vielleicht nicht mal mich? Was würde passieren? Würde sich in diesem Miniaturuniversum Grausamkeit entwickeln? Sarkasmus? Zorn? Ja da könnte ich wirklich was lernen aber warum bei einem Kind aufhören? Könnte eine ganze Sammlung von Kindern haben bzw. »Familie« & Variablen ändern die das Leben jedes Einzelnen bestimmen um herauszufinden was natürlich ist was unvermeidlich was umweltbedingt & was Konditionierung. Vor allem aber werde ich versuchen, ein Wesen großzuziehen, das sich selbst versteht. Was wenn ich dem Kind Vorsprung verschaffe indem ich Selbsterkenntnis in unnatürlich jungen Jahren anrege vielleicht mit drei? Vielleicht früher? Würde optimale Bedingungen schaffen

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