Vatermord und andere Familienvergnuegen
ich erkannte wie sehr ich ihr Lachen vermisst hatte.
Aber am Morgen war sie wieder ein Bild des Jammers.
Ich erinnerte mich daran wie sie am Morgen nach unserer ersten Begegnung eine Bleistiftzeichnung von meinem Gesicht gemacht hatte & so ging ich raus & gab all mein Geld für Farbe & Leinwand aus in der Hoffnung sie würde ihr tiefes Elend an der Leinwand auslassen statt an mir.
Als ich mein Geschenk präsentierte weinte sie & lächelte tapfer dann stellte sie die Leinwand ans Fenster & begann zu malen.
Das setzte wieder etwas Neues in Gang.
Jedes Bild eine Darstellung der Hölle, sie hatte viele Höllen & malte sie alle. Aber die Hölle hat nur ein Gesicht und sie malte auch nur dieses eine Gesicht. Ein einziges Gesicht. Ein schreckliches Gesicht. Immer wieder gemalt.
»Wessen Gesicht ist das?«, fragte ich heute.
»Ich weiß auch nicht. Das ist einfach irgendein Gesicht.«
»Dass es ein Gesicht ist, seh ich. Ich sagte ja, es ist ein Gesicht. Ich hab nicht gefragt: Wessen Hand ist das?«
»Ich kann nicht gut malen«, sagte sie.
»Ich versteh nicht viel von Malerei, aber ich finde es sehr gut. Aber davon rede ich nicht. Ich will wissen, wem dieses Gesicht gehört.«
»Ich habe es gemalt«, sagte sie. »Es gehört mir.«
Wie man sieht, konnte man mit ihr nicht wie mit einem normalen Menschen reden. Man musste gewieft sein.
»Das Gesicht hab ich doch schon mal gesehen«, sagte ich. »Den kenne ich.«
»Es ist kein Mann. Er ist nicht von dieser Welt«, sagte sie & mein Verdacht erhärtete sich: Diese Frau ist verrückt.
Immer nur kleine Formate, immer dasselbe Motiv, nur die Farben unterschieden sich, Brauntöne & Schwarz & gedämpftes Rot. Ich sehe in dem Gesicht ihre Besessenheit.
Später studierte ich die Bilder in der Hoffnung, in dem halluzinatorischen Zustand, in dem sie malt, könnten ihrem Unbewussten vielleicht Hinweise entglitten und auf die Leinwand geraten sein. Die Gemälde sind möglicherweise elegante symbolische Landkarten, die mich ins Zentrum ihres morbiden Zustands führen. Ich fasse sie scharf ins Auge, seziere sie heimlich im fahlen Lampenlicht. Aber ich kann in diesem Gesicht lediglich ihr Entsetzen sehen, das schnell auch zu meinem geworden ist. Es ist ein wirklich abscheuliches Gesicht.
Gestern
Was immer sie an religiösen Empfindungen in sich aufgestaut hat, es kommt beim Malen hoch. Manchmal ist sie ganz ins Malen versunken & ruft dann aus: »Vergib mir, o Herr!« Dann redet sie halb flüsternd mit ihm & macht dabei längere Pausen, in denen er wohl antwortet. Als sie heute »Vergib mir, Herr!« sagte, übernahm ich seinen Part & sagte: »Okay. Dir sei vergeben. Jetzt sei still.«
»Er glaubt nicht an dich, Gott.«
»Er tut gut daran, nicht an mich zu glauben. Ich bin nicht sehr glaubwürdig. Außerdem, was habe ich je für ihn getan?« »Du hast ihn zu mir geführt!«
»Und du glaubst, du bist ein so großes Geschenk? Du bist ja nicht mal ehrlich ihm gegenüber!«
»Doch, lieber Gott, ich bin ehrlich ihm gegenüber.« »Du erzählst ihm nichts über deine Vergangenheit.« »Ich erzähle ihm, was ich fühle.«
»Ach, scheiß drauf. Geh und hol ihm ein Bier. Er hat Durst!«, brüllte ich & ein paar Sekunden später kam sie mit einem Bier ins Zimmer lächelte lieb & küsste mich & ich wusste nicht was ich davon halten sollte.
Seltsamer & seltsamer
So verständigen wir uns. So finde ich ein wenig mehr über sie heraus. Kann es sein, dass sie wirklich nicht merkt, dass ich die Rolle von Gott spiele?
Heute Morgen malte sie, während ich daneben saß und las. »Oh, mein Herr! Wie lange?«, stieß sie plötzlich hervor. »Was?«
»Wie viele noch?«
»Wie viele was noch? Astrid, wovon sprichst du?«
Sie sah nicht mich an, sie starrte zur Decke. Ich überlegte ein paar Minuten, ging ins Nebenzimmer & zog die Tür halb zu. Ich spähte durch den Spalt & setzte zu meinem Experiment an. Ich rief: »Wie viele was? Sei etwas genauer, mein Kind. Ich kann keine Gedanken lesen.«
»Die Jahre! Wie viele Jahre habe ich noch zu leben?«
»Viele Jahre!«, sagte ich und sah, wie das Licht hinter ihrem Gesicht davongaloppierte.
Mehr bekam ich nicht aus ihr heraus.
& seltsamer
Nur wenn sie ihre scheußlichen Gesichter malt, geschieht es. Ich saß auf der Toilette, als ich aus dem Wohnzimmer hörte: »Oh, Herr! Ich habe Angst! Ich habe Angst um dieses Kind!«
Ich öffnete die Tür einen Spalt, damit sie mich hören konnte.
»Das ist lächerlich! Wovor soll
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