Vatermord und andere Familienvergnuegen
sich auf die Lippe. »Wollen Sie immer noch, dass ich bei der Beerdigung lese?«
»Ich glaube, das solltest du«, sagte er mit kalter, ernster Stimme. Verdammt. Ich hatte gewusst, dass er das sagen würde.
Die Beerdigung war mehr oder weniger eine Wiederholung von Bretts Beisetzung: Alle standen da, als spielten Anstand und Würde eine Rolle, das blank polierte, blendende Lächeln des Priesters, der Anblick des näher und näher rückenden Sargs. Das Flammende Inferno starrte mich an, obwohl ich in diesem Moment nicht angestarrt werden wollte. Ich wollte mit meiner Schuld allein sein. Trotzdem konnte ich nicht anders, als sie anzusehen, den Todesengel mit den schönen Beinen. Ohne es zu wissen, hatte sie eine zentrale Rolle bei der Vernichtung einer Familie gespielt.
Ich blickte auf den kalten Leichnam von Mr. White und bat stumm: Vergeben Sie mir, dass ich Ihren Hut aus dem Zug geworfen habe! Ich wusste nicht, dass Ihr Kopf noch drinsteckte! Vergeben Sie mir! Vergeben Sie mir, dass ich Sie aus einem fahrenden Zug geworfen habe!
Der Priester nickte mir zu, das Nicken eines Mannes, der vor Allwissenheit strotzte.
Ich trat vor, um zu lesen.
Alle rechneten mit dem Psalm. Stattdessen las ich das Folgende:
»Wer ist der Elendste an diesem Schreckensort? Ich glaube, ich, doch bin ich lieber der, dem's nicht an Unglück fehlt, als jener Herr, der solche Wesen schuf zur Schande sich mit seinem Wort.
Gemeinste Kreaturen sind, an Dir gemessen, der Du den Odem gabst, o Herr und Gott, doch ganz erhaben! Kummer, Sünde, Tod hat Deine Bosheit in die Welt gesetzt. Vergessen
will ich Dir nie die Schmach allmächtiger Schuld, und alle Tempel, die zum Ruhme Dir errichtet, verlocken mich nicht, den Du ganz vernichtet, zu tauschen noch zu winseln hier um Henkershuld.«
Ich kam zum Schluss und schaute auf. Der Priester knirschte mit den Zähnen, ganz so, wie es in seinem Lieblingsbuch beschrieben war.
4
Nachdem wir von Sizzler heimgekehrt waren, stand ich allein im Irrgarten und starrte den Mond an, der aussah, als sei er nur eine leere, ausgebrannte Felsruine, als habe Gott ihn abgefackelt, um das Geld von der Versicherung zu kassieren.
»Ich mach mir Sorgen«, sagte Dad, während er hinter mich trat.
»Worüber?«
»Um die Zukunft meines Sohnes.« »Ich nicht.«
»Was willst du jetzt anfangen?«
»Nach Übersee gehen.«
»Du hast doch überhaupt kein Geld.«
»Ich weiß, dass ich überhaupt kein Geld habe. Ich weiß, wie es ist, leere Taschen zu haben. Ich verdiene mir was.« »Wie?«
»Ich suche mir einen Job.«
»Was für einen Job? Du hast nichts gelernt.«
»Dann arbeite ich als Ungelernter.«
»In was für einer ungelernten Tätigkeit? Du hast keine Erfahrung.«
»Die mache ich dann schon.«
»Wie? Du brauchst Erfahrung, um einen Job zu finden.« »Ich finde schon was.«
»Wer soll dich einstellen? Keiner mag Drückeberger.«
»Das stimmt nicht.«
»Okay. Wer mag Drückeberger?«
»Andere Drückeberger.«
Dad verließ mich mit einem melodramatischen Seufzer. Ich weiß nicht, wie lange ich dort in der Kälte stand, um durch den Schleier zu sehen, der meine Zukunft verhüllte. Sollte ich Bäcker oder Stripper werden? Philanthrop oder Roadie? Kriminelles Superhirn oder Dermatologe? Das war kein Witz. Ich kämpfte mich durch ein Gewitter von Ideen, die um die Poleposition kämpften. Fernsehansager! Auktionator! Privatdetektiv! Autoverkäufer! Zugschaffner! Sie erschienen unaufgefordert, stellten sich vor und machten Platz für die nächsten. Einige der hartnäckigeren Ideen versuchten, sich ein zweites Mal einzuschleichen. Zugschaffner! Fernsehansager im Zug! Autoverkäufer! Zug Verkäufer!
Den nächsten Tag über starrte ich ins Leere. Ich habe viel Freude an der Luft, und wenn das Sonnenlicht auf die schwebenden Staubpartikel trifft, sodass man den wirbelnden Tanz der Atome sieht, umso besser. Im Lauf des Tages schneite Dad mehrfach in mein Zimmer und wieder raus und schnalzte mit der Zunge, was in unserer Familie so viel heißt wie: »Du bist ein Idiot!« Am Nachmittag kam er zurück, ein bedeutungsvolles Lächeln im Gesicht. Er hatte eine grandiose Idee und konnte es kaum erwarten, sie loszuwerden. Ihm war plötzlich eingefallen, mich aus dem Haus zu werfen, was ich von seinem Geistesblitz hielte? Ich sagte ihm, es bereite mir Sorgen, dass er dann alle Mahlzeiten allein einnehmen müsse, und es sei doch eines der fünf deprimierendsten Geräusche überhaupt, wenn das Klirren von
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