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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Besteck durch ein leeres Haus halle.
    »Keine Sorge. Ich habe deinen Rausschmiss geplant. Wir, du und ich, werden dir eine Hütte bauen, in der du leben kannst. Irgendwo auf dem Grundstück.«
    Eine Hütte? »Wie zum Teufel wollen wir eine Hütte bauen? Was verstehen wir schon vom Bauen? Oder von Hütten?«
    »Das Internet«, sagte er.
    Ich stöhnte auf. Das Internet! Seit der Erfindung des Internets bauen komplette Vollidioten Hütten und Bomben und Automotoren und nehmen zu Hause in der Badewanne komplizierte chirurgische Eingriffe vor.
    Wir entschieden uns für eine Lichtung im Irrgarten, gleich neben einem Kreis aus robusten Gummibäumen und nur wenige Meter von einem Bachlauf entfernt. Am nächsten Morgen begannen wir unter einem kupferfarbenen Himmel Bäume zu fällen wie zwei germanische Mythengestalten in einem frühen Leni-Riefenstahl-Film.
    Ich konnte den Gedanken nicht unterdrücken, dass mein Leben eine enttäuschende Wendung genommen hatte - kaum hatte ich die Schule verlassen, verrichtete ich auch schon harte körperliche Arbeit. Jedes Mal, wenn die Klinge der Axt auf das Holz traf, spürte ich, wie sich meine Wirbelsäule ein paar Millimeter nach links bewegte, und schon an diesem ersten Tag erhob ich das Quengeln zu einer schönen Kunst. Der zweite Tag war noch schlimmer - ich verrenkte mir die Schulter. Am dritten Tag behauptete ich, ich müsse mich nach Arbeit umsehen, fuhr in die Stadt und schaute mir drei Filme, hintereinander an, alle mies, und bei meiner Rückkehr realisierte ich entgeistert, wie enorm die Arbeitsleistung war, die an der Hütte vollbracht worden war.
    Dad stand da, auf seine Axt gestützt, und wischte sich den Schweiß von seiner Stirn an der Hose ab. »Ich hab heute geschuftet wie ein Tier«, sagte er. Ich sah ihm fest in die Augen und wusste sofort, dass er sich Hilfe geholt hatte.
    »Was macht die Jobsuche?«, fragte er.
    »Ich komme der Sache näher.«
    »Das lob ich mir.« Dann sagte er: »Warum versuchst du dich nicht morgen mal an den Bauarbeiten? Ich bin morgen den ganzen Tag in der Bibliothek.«
    Also nahm ich mir seine Ersparnisse, die er in einer ausgehöhlten Ausgabe von Rousseaus Bekenntnissen aufbewahrte, und engagierte einen eigenen Bauarbeiter.
    »Mach einfach so viel, wie du schaffst«, sagte ich.
    Auf diese Weise wurde meine Bleibe fertiggestellt. Wir wechselten uns ab. Einen Tag täuschte ich vor, eigenhändig die Hütte zu bauen, am anderen Tag täuschte er vor, eigenhändig die Hütte zu bauen, und ich hatte keine Ahnung, was das sollte, außer den
    Beweis zu liefern, dass wir beide eindeutige Merkmale von geschädigten, hinterlistigen Persönlichkeiten aufwiesen. Das Ergebnis war auf jeden Fall, dass die Bude Gestalt annahm. Der Baugrund war gerodet und gesäubert. Der Rohbau stand. Der Boden war verlegt. Der Dachstuhl war errichtet. Die Tür hing in den Angeln. Es gab Fenster, wo Fenster sein sollten. Sogar mit Scheiben. Die Tage wurden länger und wärmer.
    In dieser Zeit bewarb ich mich um einen Job bei einer Werbeagentur, obwohl es etwas Herablassendes an sich hatte, wie in der Anzeige die Stelle eines »Juniors« beschrieben wurde. Ich betrat einen sterilen Zementbau, schlurfte durch lange, trostlose Korridore, in denen ein riesiges Heer von Klonen an mir vorbeizog, alle mit entschlossenem Lächeln. Beim Vorstellungsgespräch sagte mir ein Kerl namens Smithy, dass ich mir vier Wochen im Jahr für Schönheitsoperationen freinehmen könne. Meine Job nannte sich Datenerfassungskraft. Ich fing am nächsten Tag an. Die Stellenanzeige hatte den Job korrekt beschrieben - ich erfasste Daten. Meine Kollegen waren ein Mann, der Zigaretten rauchte, die mysteriöserweise mit Lippenstift verschmiert aus der Packung kamen, und eine Alkoholikerin, die alles daransetzte, mich davon zu überzeugen, dass es eine stolze Leistung sei, in der Drehtür des Hyatt-Hotels zu sich zu kommen. Ich verabscheute den Job. Die guten Tage vergingen wie Jahrzehnte, die durchwachsenen wie halbe Jahrhunderte, aber meistens war mir so, als wäre ich im Auge eines Zeitorkans gefangen.
    An dem Abend, an dem die Hütte fertiggestellt wurde, saßen Dad und ich, zwei richtige Blender, vorne auf der Veranda und stießen auf die Eigenleistung an, die wir nicht erbracht hatten. Wir sahen den weißen Streifen, den eine Sternschnuppe in den schwarzen Himmel kratzte.
    »Hast du sie gesehen?«, fragte mein Dad.
    »Sternschnuppe.«
    »Ich hab mir was gewünscht«, sagte er. »Soll ich dir sagen,

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